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[Überblick]

Ich fand, es ist mal an der Zeit, ein wenig Ordnung in die Challenge zu bringen. Immerhin ist es auch für mich schwierig geworden, immer die...

15.12.2018

[41 Solitude]

Es ist schon ewig her, dass ich mich dazu durchringen konnte, hier zu posten. Durchringen? Ja, denn irgendwie fehlt mir die Energie, um diesen/dieses Blog zu führen. Vor allem habe ich wenig zu erzählen und generell wenig, was einen Post rechtfertigen würde. Gott sei Dank habe ich jetzt jedoch geschafft, endlich mit der Challenge voranzukommen. Ich greife also sehr weit vor auf Thema 41, weil es mir nahe geht.


Es war wie immer, wenn Mia mit Leuten zusammen war, die sie nicht gut kannte. Oder generell mit mehr als zwei Personen, selbst wenn sie diese kannte. Sie lächelte in ihren Drink, antwortete auf Fragen, aber begann kein Thema von sich aus. Dieses Verhalten hatte sie sich einst antrainiert, als ihr klar geworden war, wie wenig sie zu den Menschen um sie herum passte.
Lindsay neben ihr seufzte gerade theatralisch und begann eine passionierte Diskussion mit einem der anderen Gäste, deren Namen Mia größtenteils sofort vergessen hatte, über den weltweiten Fischfang und insbesondere über die drei Nationen, die nach wie vor Wale fingen. Offiziell zu Forschungszwecken, wollte Mia dazu sagen, doch sie griff nur nach dem Plastikbecher, den Louis ihr reichte. Louis kannte sie seit knapp zwei Jahren, war seit eineinhalb dazu in der Lage, mehr als ein „Guten Morgen“ mit ihm auszutauschen, und wollte ihn auf der Arbeit nicht mehr missen. Genau wie die Gastgeberin, Steph. Der Sonnenschein.
Wie gelangen introvertierte Menschen an extrovertierte Freunde? Die Extrovertierten müssen sie finden und sie adoptieren.
Anders war das bei Mia nicht gewesen. Steph hatte sie kennen lernen wollen und immer wieder auf Unterhaltungen bestanden. Von sich aus hätte Mia weit aus weniger erzählt, als am Ende aus ihr hinaus gekommen war.
„Was ist das?“, fragte sie beim Blick in ihren Plastikbecher.
„Whisky Cola“, antwortete Louis knapp. „Du kannst das brauchen, du trinkst eh immer viel zu wenig.“
Sie schmunzelte, ehe sie ihm sanft auf die Schulter klopfte. „Danke, dass du immer so auf mich aufpasst.“
Dankbar war sie tatsächlich, nur wusste sie nicht, ob sie sich damit so wohlfühlen sollte. Steph und Louis waren zwei der Menschen, in deren Gegenwart sie sich besonders ausgeglichen fühlte, gerade so, als könnte sie alles mit ihnen besprechen. Die Jahre hatten sie gelehrt, dass es solche Beziehungen nicht gab, weshalb ihr Freundeskreis immer weiter geschrumpft war, bis nur noch drei Personen übrigen geblieben waren. Dann war Steph in ihr Leben getreten und hatte sie, die introvertierte Landmaus mit den nichtssagenden braunen Augen und Haaren, vollends adoptiert. Sie gingen ins Kino, sie gingen shoppen, sie tranken zusammen. Stephs Anwesenheit machte das alles gut und trotzdem war da immer der Teil von Mia, der sich unsicher war, was er davon halten sollte.
Als Teenager war sie von den Kindern ihres Jahrgangs eigentlich immer ignoriert worden, seit die Pubertät begonnen hatte. Ihre schüchterne Ader war perfekt gewesen, um sie in die Rolle des Opfers zu stecken und, um fair zu bleiben, sie hatte sich diesen Schuh zum Teil auch selbst angezogen. Nur konnte sie noch immer nicht verstehen, wie aus Kindern, mit denen sie zuerst jede Pause und auch einen guten Teil ihrer Freizeit verbracht hatte, irgendwann Leute geworden waren, die sich beschwerten, wenn sie sich schon wieder um sie kümmern sollten. Niemand hatte sich kümmern müssen, es war meist nur um die Aufteilung zu einer Gruppenarbeit gegangen. Die Freunde von einst wollten jedoch nichts mehr mit ihr zu tun haben und es war ihr schwer gefallen, in irgendeiner Gruppe neu Fuß zu fassen.
Schnell trank sie einen Schluck Whisky Cola, um diese Erinnerung wegzuspülen und das sanfte Lächeln auf ihren Zügen halten zu können, obwohl es wahrscheinlich dämlich aussah.
„Sag mal“, begann Louis und rückte ein wenig näher an sie heran, „fühlst du dich nicht wohl?“
Mia seufzte leise. „Du kennst mich doch. Ich rede mit niemandem, das ist alles.“
„Du kennst sie ja auch noch nicht, das wird schon. Wenn wir uns das nächste Mal mit ihnen treffen, ist das schon besser, okay?“ Er knuffte sie leicht in die Seite, was ihr ein kurzes Lachen entlockte.
„Okay.“
Vielleicht war das eine Lüge. Vielleicht würde es niemals besser werden, weil sie sich zu gut kannte und genau wusste, dass sie beim nächsten Treffen irgendetwas Dummes sagen würde, das sie sofort in eine Schublade steckte, in der sie nicht sein wollte. Oder es ging in die andere Richtung, die sie schmerzlich in Erinnerung behalten hatte. Sich öffnen, vertrauen – und dann mit etwas konfrontiert werden, das dem Vertrauen jede Grundlage entzog. Ein „das darfst du nicht weitererzählen“ wurde schnell zu etwas, das in aller Munde war. Ein „natürlich machen wir das zusammen“ entwickelte sich zu einem Alleinsein, das tiefer ging als jedes davor. Mia war nicht von Grund auf pessimistisch gewesen, auch nicht unsozial. Aber mit jedem weiteren Jahr hatte sie sich mehr und mehr in diese Richtung verändert.
„Hey“, sagte Louis, während er an ihrer Hand zog, „wir gehen jetzt raus.“
„Wieso?“
Er griff über die Sofalehne nach ihren Jacken. „Du brauchst die frische Luft.“
Mit gekrauster Stirn schlüpfte sie in ihre Jacke und ließ sich von Louis in den Garten führen, in dem sich nur wenige Gäste aufhielten. Für ihren Geschmack noch zu viele. Doch bei ihnen blieb Louis nicht stehen, sodass Mia ihm noch ein ganzes Stück folgte, ehe er sich abrupt umdrehte und ihr den Arm um die Schulter legte.
„Willst du lieber gehen?“
Langsam schaute sie hinauf in seine Augen, deren Farbe sie im Schummerlicht nicht erkennen konnte. Nur die Sorge in ihnen war überdeutlich und gefiel ihr nicht. Sie wollte nicht, dass sich jemand ihretwegen sorgte, das war nie ihr Plan gewesen. Wenn man sich nicht sorgte, musste man sich auch nicht kümmern – selbst wenn es nicht um Gruppenarbeiten ging.
„Alles gut“, log sie, zwang sich zu einem Lächeln.
Louis rieb ihr über den Oberarm. „Das glaub ich dir irgendwie nicht.“
Sie öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder. Ihr lag vieles auf den Lippen, das sie ihm jetzt sagen könnte. Wie sehr sie sich dafür hasste, nicht besser mit Menschen umgehen zu können, beispielsweise. Oder dass sie keine Verbesserung bei sich sah. Dass sie Angst davor hatte, wenn Sachen sich zu ändern drohten. Und wie wenig sie verstand, was Steph und er in ihr sahen.
Aber sie blieb ruhig und griff nur nach seiner Hand. „Du musst mir schon vertrauen“, spielte sie die gemeinste aller Karten aus, „was sollte denn nicht gut sein?“

1 Kommentar:

  1. Ganz toller und großartiger Text!

    Ich hab immer mal wieder vorbeigeschaut, ob's hier was neues von dir gibt und trotzdem nicht mitbekommen, dass hier schon zwei Wochen lang ein Post von dir wartet gelesen zu werden! Schande über mich!

    Der text ist wundervoll geschrieben und ich bin erschrocken, wie gut ich mich mit Mia identifizieren kann.
    Das Thema hast du echt toll und ausdrucksstark umgesetzt.

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