Empfohlener Beitrag

[Überblick]

Ich fand, es ist mal an der Zeit, ein wenig Ordnung in die Challenge zu bringen. Immerhin ist es auch für mich schwierig geworden, immer die...

06.03.2016

[Etwas Blaues, etwas Altes und etwas Geborgtes]

Manchmal ist es schon erstaunlich, was man so ausgräbt, wenn man seine alten Texte anschaut. Da kommen Dinge raus, an die man sich absolut nicht erinnern kann. Weil neues Material meinerseits einfach mal fehlt, dachte ich, ich teile hier drei alte Sachen. An eine konnte ich mich noch halb erinnern, an eine gar nicht mehr (ich weiß auch nicht, worauf ich damit hinaus wollte).
Was genau hier geborgt und was blau ist, sage ich mal nicht. Aber blau nicht im deutschen Sinne, also nicht die Farbe.



The Second Pole

Ich hörte ihn, aber er schien weit weg zu sein. Wie immer, wenn ich in diese Phasen rutschte, weil meine Medikamente sie nicht verhinderten, nur weniger schlimm machten. Er war mein Anker, so hatte ich es mir inzwischen zurechtgelegt. In seiner Nähe war alles besser. Meistens.
Jetzt jedoch saß ich auf der Couch und konnte ihn kaum noch wahrnehmen, weil alles, was ich jemals in meinem Leben falsch gemacht habe, irgendwo in meinem Kopf unaufhörlich abgespielt wurde. Eine Dauerschleife, die ich nicht unterbrechen konnte. Oder wollte.
Eine Hand griff nach meiner, was mich erst begreifen ließ, dass ich versucht hatte, mir mit den Nägeln die Haut an den Handgelenken aufzureißen. Deswegen trug ich meine Nägel immer kurz. Alles für eine Minimierung der Verletzungsgefahr.
Einige Sekunden – es konnten auch Minuten sein – betrachtete ich seine Hand auf meiner, ehe ich mich zu ihm drehte. Diese ersten Tage waren immer am schlimmsten, für mich wie für ihn. Ich hatte nur den Vorteil, dass ich das alles schon kannte. Die Episoden hatten in ihrer Häufigkeit nachgelassen und ich nahm meine Medikamente regelmäßig genug, um das Schlimmste zurückzuhalten. Dennoch ließ sich nicht alles verhindern.
Etwas sagte mir, dass mir sonst beim Blick in seine Augen, auf seine Lippen warm wurde, weil ich ihn mehr liebte als ich gewillt war mir einzugestehen. Aber in diesem Moment war er mir fast egal. Er war einfach da. Neben mir. Und schaute mich an, obwohl er beim allerersten Mal noch auf mich eingeredet hatte.
Vorsichtig strich ich ihm über die Wange. Mir brachte das nichts, es bedeutete mir nicht viel, aber für ihn war es wichtig. Und wenn ich Dinge tat, die ihm wichtig waren, dann schienen die Fehler der Vergangenheit auch gar nicht mehr so schwer zu wiegen. Sein vorsichtiges Lächeln würde die trüben Gedanken nicht vertreiben. Doch solange er an meiner Seite war, würden die Gedanken daran, dem allen bald ein Ende zu setzen, gar nicht erst zu weit nach vorne dringen.
Vor allen musste ich so tun, als wäre alles mit mir in Ordnung. Als würde ich mich nicht durch den Tag quälen.
Vor ihm konnte ich einfach sein, wie ich in diesen Phasen war. Ihm das aufzulasten war ungerecht von mir und gehörte zu meinen größten Fehlern, die mich noch weiter in dieses Loch ziehen wollten, das aus dem Nichts gekommen war.
„Ich weiß, du hast keinen Appetit“, sagte er da gerade laut genug, um zu mir durchzudringen, „aber ich habe Kekse mitgebracht. Die willst du doch nicht ablehnen?“
Ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Für ihn. Nicht für mich. Ihm lag mein Wohlergehen am Herzen und dazu gehörten auch einfache Dinge wie essen oder schlafen, die mir einfach nicht gelingen wollten. Ich war mein Leben lang schlank gewesen, aber jetzt würde ich wieder einmal abnehmen. Er mochte das nicht, war es doch ein Zeichen für den Verfall meines geistigen Zustands.
„Gut. Tee und Kekse.“ Weil ich Kaffee nicht haben wollte, würde er mich doch nur noch mehr vom Schlafen abhalten.
„Danach können wir-“, er unterbrach sich selbst. Unter den Sommersprossen in seinem Gesicht begann seine Haut rot zu werden. „Na ja, es ist kalt und deine Wanne ist groß.“ Das war sie nicht, jedenfalls nicht übermäßig, aber ich wusste, wohin die Reise führen würde. „Und dann können wir schlafen gehen.“
Mein kindlicher Anker. Er wollte bei mir sein, damit ich in Ruhe den Schlaf nachholen konnte, der mir fehlte. Mehr zu tun, als nur beieinander zu schlafen, kam für ihn nur in Frage, wenn er sehr große Lust hatte und die mahnende Stimme der Vernunft in sein Unterbewusstsein sperrte.
Ich beugte mich zu ihm und küsste ihn sanft, woran er wesentlich mehr Freude empfand als ich. Ob ich ihm wohl genug war? Er war ein Familienmensch und ich konnte ihm keine eigene Familie gründen. Mit einer Frau an seiner Seite wäre er sicherlich glücklicher als mit einem Fotografen, dessen beste Werke aus den manischen Phasen kamen.

„Zuerst der Tee. Dann sehen wir weiter.“


For Your Entertainment

Sie zog den Lippenstift nach. Rot - dafür waren ihre Augen dezent geschminkt. Der Blick in den Spiegel zeigte ihr eine Frau, die sie nicht oder nur kaum kannte, und die sie schnell vertrieb. Mit wenigen Bewegungen holte sie ein Tuch hervor, wischte sich den Lippenstift ab und ersetzte ihn durch eine weniger knallige Farbe, damit sie die Augen betonen konnte. Mehr schwarz, mehr Fülle für die Wimpern, mehr, mehr, mehr, bis sie sich auch so nicht mehr erkennen konnte, mit dem Ergebnis jedoch zufriedener war. Die grauen Augen als Fokus im Gesicht gefielen ihr besser als ihre Lippen und er sollte auch auf ihre Augen schauen, ehe er weiter nach unten blicken durfte. Augen, Lippen, das kleine Schwarze, das sie bei einer Bekannten aufgetrieben hatte. Das war zwar nicht sie, aber damit konnte sie leben, wenigstens für den Moment. Und es war ja auch nicht so, als wäre sie einer Scharade vollends abgeneigt, wenn selbige zum kurzweiligen Erfolg führte.
Flugs verließ sie ihren Raum, ehe sie es sich doch noch einmal anders überlegen konnte. Den Weg zu seinem Zimmer kannte sie inzwischen nur zu gut, immerhin war sie schon mehrfach bei ihm gewesen, ohne bei mit ihm zu reden oder auch nur zu klopfen. Diesmal würde das anders laufen, ganz genau. Ihr Herz, das kaputte, schlug wie wild gegen ihren Brustkorb und schien mit jedem Schritt auf den High Heels lauter zu werden, bis sie schließlich im gleichen Takt gegen das Türblatt klopfte. Nichts. Noch ein Versuch – und, ja, diesmal wurde die Tür geöffnet, einen Spalt nur, als wisse er nicht, was ihn erwartete.
„Hi“, sagte sie so selbstbewusst das bei einem kurzen Wort möglich war.
Er schaute zu ihr hinunter, nicht so weit wie sonst, immerhin kannte er sie nur auf flachen Schuhen, aber doch immer noch ein Stück. „Hey.“
Die Kostümierung zeigte bereits ihre Wirkung. Er schaute sie ein wenig verwirrt an, doch seinem Gesicht war anzusehen, dass ihm der Anblick auch gefiel. Was ein genügend tiefer Ausschnitt doch erreichen konnte.
„Ich dachte, ich komme mal vorbei, immerhin kommst du ja nie zu mir.“
„Okay...“
„Diesmal will ich auch gar nicht hier schlafen, also“, sie zuckte wie beiläufig mit den Schultern und stemmte dann die Tür ein Stück weiter auf, „außer du lässt mich hier schlafen, dein Bett ist ja groß genug.“
Dafür, dass sie eigentlich nur ein Angebot wiederholte, das er ihr gemacht hatte, wirkte er doch recht verwirrt. Eine Nacht an den One-Night-Stand dranhängen, das war es, was er ihr vor so vielen Wochen vorgeschlagen hatte, worauf sie nicht eingegangen war. Bis jetzt. Weil sie einsam war, weil sie traurig war, weil sie für eine weitere Nacht vergessen wollte, nur für eine einzige Nacht, die sie wieder in einen Strudel aus schlechten Gefühlen ziehen würde, der sie beschäftigt halten würde.
„Du, ich hab aber gerade zu tun, es ist wirklich nicht...“ Eine sanfte Berührung am Arm, ein scheuer Blick, und er vergaß den Rest seiner Ablehnung.
„Willst du mich wirklich wieder wegschicken?“ Es war wieder wie Weihnachten, nur dass sie diesmal genau wusste, dass sie wollte, was sie tun würden. Wollte sie doch?


Demon

Biest!
Da hatte sie es doch tatsächlich gewagt, ihre Fingernägel in seine Haut zu graben und im Gesicht ein paar hässliche Kratzer zu hinterlassen. In Ians Gesicht! Das war nichts, was nicht innerhalb von ein oder zwei Tagen heilen konnte, aber es störte ihn trotzdem. Wenigstens hatte er von dieser Schlampe noch bekommen, was er brauchte, um endlich die Anerkennung zu erhalten, die ihm zustand. Ja, dafür war sie gut genug gewesen.
Er riss seinen Blick von der blitzblanken Scheibe des Supermarktes los, in der er seine Reflexion gerade genug erkannt hatte, um die Kratzer begutachten zu können, und machte sich auf den Weg zurück zum Chef. Der würde große Augen machen, wenn er erfuhr, was Ian diesmal erwischt hatte. Vielleicht rückte er sogar mit der einen oder anderen neuen Kraft heraus. Unwillkürlich steckte Ian die Hand in seine Jackentasche und strich über die Tüte, in der sich die Beute befand. Warm spürte er es leicht durch das dünne Material pulsieren und konnte ein Grinsen nicht mehr zurückhalten, wofür ihm einige fragende Blicke zugeworfen wurden. Doch die waren ihm egal. All diese Menschen waren ihm vollkommen egal, denn von ihnen konnte man nichts anderes erwarten, als ein leichtes Vibrieren, wenn man sie bestahl.
Aber diese kleine Schlampe von vorhin hatte dieses Pulsieren schon von sich gegeben, als sie nur an Ian vorbeigegangen war. Mit wiegenden Hüften, die sich nicht mit ihren scheuen Augen decken wollten. Sie wusste, dass sie Beute war – für Menschen und Dämonen wie Ian. Doch im Gegensatz zu Ian und seinesgleichen hatten Menschen keine Sensoren für Andersartigkeit. Sie lebten mit Wesen, die anders waren, zusammen und mussten sich darauf verlassen, dass irgendjemand ihnen einen Fingerzeig gab, mit dem sie die Anderen auch erkannten. Ansonsten waren sie ahnungslose kleine Wesen ohne besondere Bedeutung. Natürlich konnte man auch sie bestehlen. Doch wozu sollte man sich mit Krümeln zufrieden geben, wenn man die Rosinen aus dem Kuchen picken konnte?
Ian setzte sich seine Sonnenbrille auf, hinter der er seine roten Augen versteckte, die Menschen zu gerne für braune Augen hielten, um sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen, dass er ein Dämon – also eine potentielle Gefahr – war. So dumm Menschen auch waren, musste man ihnen doch lassen, dass sie einen unnachahmlichen Überlebenstrieb hatten. Selbstschutzmechanismen, die sich gerne in Naivität zeigten. Sie konnten sich nur freuen, dass Dämonen weniger hinter ihnen her waren. Was nicht hieß, dass sie nicht auch gerne mal einen normalen Menschen anstatt eines Magiers nahmen.
Aber Ian war es ja nun gelungen, eine Magierin zu finden. Noch dazu eine ziemlich starke, deren Kräfte nicht versiegelt oder geschwächt worden waren. Allein das grenzte schon an ein Wunder. Dann war auch noch nicht einmal eine Markierung auf ihr gesetzt worden – ein Versäumnis, das Ian sofort nachgeholt hatte, damit man die Leiche auch als Magierin identifizieren konnte.
Es war nur merkwürdig, wie kampflos sich das Biest in sein Schicksal ergeben hatte. Normalerweise musste Ian eine Menge Tricks auspacken, um überhaupt nahe genug an einen Magier zu kommen, um ihn zu betäuben. Mehr als einmal war er dabei nur knapp mit dem Leben davongekommen. Aber Magier verfolgten Dämonen nicht, wenn sie nicht zu den Jägern gehörten, dafür waren sie zu dumm. Oder zu menschlich.
Ian strich sich durch seine kurzen schwarzen Haare und schüttelte den Kopf. Er selbst sah auch menschlich aus, hatte aber eindeutig Fähigkeiten, die über die eines Homo Sapiens hinausgingen. Comic- und Filmfans bezeichneten seinesgleichen deshalb auch nicht als Dämonen sondern als Mutanten – worüber er seit jeher nur milde gelächelt hatte. Die menschliche Gestalt war nicht mehr als eine Hülle, doch das hatte noch keiner der Wissenschaftler hier herausgefunden. Eine Hülle, die den Dämonen so sehr gefiel, dass sie oft nicht einmal die richtige Gestalt derer kannten, mit denen sie sich am häufigsten trafen. Was ihnen nichts ausmachte. Auch, dass sie von Magiern dafür ausgelacht wurden, zwar einerseits Menschen zu hassen, sich aber andererseits gerne als welche auszugeben, was schon bei der Vergabe der Namen an den Nachwuchs begann, interessierte sie nicht. Was wussten Magier denn schon? Die waren in diese Gestalt hineingeboren und konnten sie nur durch größere Anstrengung ablegen.
Er sollte nicht über solche Dinge nachdenken.
Ian ging über die Straße und überhörte die Stimmen, die ihn beschimpften, ebenso gut wie das Hupen der Autos, die seinetwegen anhalten mussten. Was sie nicht mussten. So ein kleiner Autounfall würde ihn zwar verletzen und ein paar Tage Heilungszeit benötigen, aber für das Auto wäre es wohl schlimmer als für ihn. Zu schade, dass er sich nicht die Zeit nehmen wollte, um ernsthaft einen zu provozieren. Menschen bremsten, wenn jemand auf der Straße war, das wusste er. Weniger aus Angst um die fremde Gesundheit, als viel mehr aus Sorge um die eigenen Finanzen. Wen kümmerte schon ein Leben, wenn der Wagen in die Reparatur musste? Da konnten Menschen so viel Mitleid heucheln wie sie wollten, am Ende waren sie auch nur selbstsüchtige Geschöpfe. Ian gefiel der Gedanke, ein rachsüchtiges Unfallopfer zu mimen, aber dafür reichte seine Zeit wirklich nicht. Besonders nicht, wenn er seine Beute abgeliefert und die Belohnung erhalten hatte. Die hoffentlich groß ausfiel und somit gefeiert werden musste.

2 Kommentare:

  1. Bin begeistert! Ich freu mich so endlich wieder was von dir zu lesen Ganz besonders der erste Text hat es mir total angetan. Ich hätte am liebsten weitergelesen. :'D

    Ich hoffe, da kommt bald noch mehr! :3

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich habe mich ehrlich ein wenig gewundert, wie gut er eigentlich geworden ist. Ich hatte ihn deutlich schlechter in Erinnerung, das hat mich schon positiv überrascht. xD Gerne hätte ich weitergeschrieben, aber da er schon über ein halbes Jahr alt ist, war ich mir nicht sicher, in welcher Stimmung ich ihn verfasst habe - und bevor ich das zerstöre, was schon dort steht, bin ich lieber auf Nummer sicher gegangen.

      Löschen