Und dann ist da noch das alte Problem mit den zwei bis x Charakteren identischen Geschlechts, die miteinander agieren. Das ließt sich immer wie ein Zugunglück, weil die Namen tausendmal fallen müssen...
Alec stand nahe der Tür, um schnell gehen zu können,
sollte es erforderlich sein. Seit er in London lebte, hatte er jedes Ereignis,
gesellschaftlich oder nicht, gemieden so gut es eben ging. Zu den meisten
konnte er ohnehin nicht gehen, da es ihm nicht mehr zustand, was ihm sehr recht
war. Nur diesmal hatte er sich nicht weigern können, egal wie sehr er es auch
versucht hatte. Er war von seinem Chef als Repräsentant der Royal Mail
ausgewählt worden und hatte diese Ehre anzunehmen. Dass er nicht wegen seiner
guten Arbeit gewählt worden war, sondern wegen seiner Ausdrucksformen und vor
allem seines Erscheinungsbildes, setzte dem Ganzen nur noch die Krone auf. Aber
sein Chef meinte es irgendwie nur gut mit ihm. Hoffte er.
Insgeheim und nur für sich selbst musste Alec sich
eingestehen, dass er nicht nur der Pflicht wegen tatsächlich erschienen war,
sondern auch wegen Angelique. Es war ihr Tag, ihr Ereignis – und Alec konnte es
kaum erwarten ihrer wieder ansichtig zu werden. Ihre ersten beiden Treffen
waren so durchwachsen verlaufen, dass er ihren Eindruck von ihm gerne
korrigieren wollte. Bei den Wachen würde ihm das nicht gelingen und so sah er
sich mehr als einem fragenden Seitenblick ausgesetzt. Kein Wunder, hatte man in
ihm doch einen Attentäter auf das Leben Ihrer Hoheit Königin Angelique I.
erwartet. Seit er sie zum ersten Mal getroffen hatte, zufällig beim Ausliefern
der Post an den Palast, lag ihm nichts ferner, als ihrem Leben ein Ende zu
setzen. Das wusste nur niemand außer ihm.
Emmy, seine Kollegin, winkte ihm zu, widmete sich jedoch
schnell wieder dem Herrn, mit dem sie in ein angeregtes Gespräch vertieft
schien. Der Uniform zu erteilen handelte es sich um ein ranghohes Mitglied der
Royal Navy, das unter anderen Umständen weitaus weniger Worte mit einer
einfachen Postangestellten wechseln würde. Doch Emmy war hübsch angezogen und
schon immer außerordentlich unterhaltsam gewesen, da war es kein Wunder, dass
selbst höher gestellte Herren ihr gerne lauschten.
Von Emmy abgelenkt bemerkte Alec zu spät, wie sich jemand
mit einem Grinsen näherte, das irgendwie an eine Katze erinnerte.
„Hallo, Alexis“, sagte Chris dank seiner Körpergröße wie
immer von oben herab.
Alec schluckte, schaffte es dann jedoch, verwirrt zu
gucken. „Sie müssen mich verwechseln, Sir.“
„Oh, sicher doch, Mister…?“ Als keine Antwort kam,
schaute Chris auf das Namensschild, das Bestandteil der Postbotenuniform für
offizielle Anlässe war. „Xander Park. Wie überaus erstaunlich. Sie müssen
wissen, Mister Park, mein kleiner Bruder ist davongelaufen.“
„Mein tiefstes Bedauern.“
„Er hätte immer lieber Alexander geheißen und stand der Hexe Layla Stone-Park näher als beide durchblicken ließen.“
„Was hat das mit mir zu tun, wenn ich mir diese dreiste
Frage erlauben darf? Und mit wem habe ich überhaupt das Vergnügen?“
Chris hob die Augenbrauen, was weniger nach Erstaunen
aussah, denn nach einer Herausforderung. Alec versuchte weiterhin seinen
neutralen Gesichtsausdruck beizubehalten. Als mittlerer von drei Söhnen war
Chris schnell aufgegangen, welche Hebel er bei seinen Brüdern ziehen musste, um
zum gewünschten Ergebnis zu kommen – und Alec war über Jahre sein Lieblingsopfer
gewesen. Allein dass er geahnt hatte, dass mehr Freundschaft zwischen Alec und Layla
herrschte, als zwischen einfachen Nachbarn, die sich gelegentlich sahen, zeigte
einmal mehr, wie viel mehr als die meisten anderen Chris herausfand, ohne sich
besonders um sein Wissen zu bemühen.
„Christopher Pierce, Sohn von William Pierce, hoch
erfreut. Es hat nichts mit Ihnen zu tun. Oder es hätte das nicht, wenn ich dich
trotz deiner Verkleidung nicht an deiner gesamten Art auf eine Meile erkennen
würde.“
Alec schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zur
Seite, doch Chris verstellte ihm den Weg.
„Was soll das?“
„Dasselbe könnte ich dich fragen. Ich will dich nicht zu
einer Rückkehr zwingen, wenn du endlich etwas gefunden hast, worin du gut bist –
obwohl diese Tätigkeit weit unter Stand ist, wenn ich dir das vor Augen halten
darf. Es ist nur, dass Vater tobt.“
„Dann lass ihn toben.“
„Ah, also doch Alec und nicht Xander!“
„Ich werde mich nicht rechtfertigen, weder vor dir noch
vor sonst wem!“
Mit einem halben Schritt zur Seite deutete Chris an, den
Weg wieder freigeben zu wollen, ohne es wirklich zu tun.
„Habe ich das etwa verlangt?“ Er schaute sich um. Dann
brachte er Alec in eine ruhige Ecke, indem er ihn halb zog, halb schubste.
Schließlich kesselte er ihn ein. „Ich wüsste nur gerne, was du hier zu suchen
hast, wo du doch beinahe zwangsläufig Bekannten begegnen wirst.“
„Anweisung vom Chef“, Alec verzog das Gesicht und spürte,
wie Chris ihn am Oberarm hielt. Nicht stark genug, um zu schmerzen, aber doch
deutlich genug, um als Warnung durchzugehen. „Er meint, ich sehe gut genug aus
für einen Repräsentanten.“
Diese Aussage ließ Chris sinken, während das Grinsen
zurück auf sein Gesicht fand. „Wahrscheinlich wird in genau diesem Moment schon
spekuliert, ich habe mir den schönen Postboten geschnappt, um mich mit ihm zu
vergnügen.“
„Das ist ekelhaft!“
„So?“ Chris strich ihm sanft über die Wange, wie er es
zuletzt getan hatte, als Alec vier Jahre alt gewesen war. „Weil wir beide
Männer sind?“
„Weil wir Brüder sind.“
Alec versuchte aus der Ecke herauszukommen, wurde jedoch
von der Hand an seinem Arm zurückgehalten.
„Weißt du, mit Alexis Pierce wäre es natürlich
unvorstellbar, aber was ist mit Xander Park? Würde er jemanden wie mich
ablehnen? Würde sein kleines Postbotenherz sich nicht über die Aufmerksamkeit
von jemandem weit über seiner Gehaltsklasse freuen? Und würde er nicht aus
einer solchen, wenn auch kurzen, Verbindung ein wenig Geld ziehen? Wer ist er?“
„Xander Park ist ledig und zufrieden mit sich und seinem
Leben, vielen Dank“, zischte Alec.
„Jetzt schau mich doch nicht so bockig an, ich zieh dich
doch nur auf. Ich kann mir besseres vorstellen, als meinen kleinen Bruder auf
diese Weise zu… bespaßen. Aber meine Frage war ernst gemeint. Wer ist Xander
Park? Kennst du ihn und die Arbeiterklasse genug, um wirklich unterzutauchen?
Oder stichst du durch mehr als dein hübsches Gesichtchen aus der Masse deiner
Kollegen hervor? Dein Vorgesetzter hat dich nicht ohne Grund hergeschickt.“
Alec dachte einen Moment darüber nach, war jedoch nicht
gewillt, seine Gedanken zu teilen. Er war sich voll und ganz bewusst, dass er
auffiel. Er wurde von einigen Damen umworben, denen er reihum Körbe gab. Immer
freundlich, immer höflich. Xander war kein besonders schneller Postbote,
weshalb er häufiger als die anderen Überstunden schieben musste, um sein Pensum
zu schaffen. Aber sein Status als „schöner Park“ machte ihn eben für einen
Abend zum Gesicht der gesamten Royal Mail. Um seine Herkunft scherte sich
niemand, nicht einmal sein Mitbewohner, seit er angedeutet hatte, darüber
ungerne zu sprechen.
„Xander ist jemand, der vor seinem alten Leben davongelaufen
ist und seine Arbeit gut verrichtet. Mehr muss ein Pierce nicht über ihn
wissen.“
Chris klopfte ihm auf die Schulter. „Das reicht mir auch
schon. Solange du zufrieden bist, sollte ich es auch sein.“
„… wirst du es Vater ver-“
„Ich schweige wie ein Grab! Aber warum bist du nun hier?
Du hättest dich einfach krank stellen können. Schau dich doch um.“ Er deutete
mit dem Kopf hinter sich. „Alles, was Rang und Namen hat, will den Geburtstag
der Königin mit ihr feiern. Einige erinnern sich bestimmt an den jüngsten
Pierce-Sohn, der so plötzlich verschwunden ist. Irgendwann hätte jemand deine
Scharade auffliegen lassen.“
Trotzdem war es Angeliques Geburtstag, eine der wenigen
Gelegenheiten, zu denen auch Gewöhnliche die Gelegenheit erhielten, der
Königsfamilie ein wenig näher zu kommen. Dass die Familie inzwischen nur noch
ein Mitglied umfasste, wollte er an dieser Stelle lieber gar nicht zu genau
beleuchten. Natürlich kannten einige Wachen Alec noch von seinen letzten
weniger glücklichen Besuchen hier, aber sie hatten nichts gegen ihn in der Hand,
was dazu führte, dass sie ihn nur argwöhnisch musterten, wenn sie ihn sahen.
Solange er sich gebührlich verhielt, würde sich das nicht ändern, und etwas
anderes hatte er gar nicht vor.
„Es war der ausdrückliche Wunsch Ihrer Majestät, dass
diesmal zwei Vertreter der Royal Mail erscheinen, was meinen Chef ein wenig in
die Bredouille gebracht hat. Schließlich wurde ich ausgewählt-“
„Trotzdem hättest du nicht erscheinen müssen“, ging Chris
dazwischen.
„Ihre Majestät-“
„So wie du das sagst, ist sie der wahre Grund, nicht wahr?“
„Auf gar keinen Fall!“, sagte Alec empört davon, wie
leicht es Chris erneut gefallen war, ihn zu durchschauen. „Ganz abgesehen
davon, dass es Alexis Pierce schon nicht zugestanden hätte, auf eine andere als
die schickliche Weise an ihre Majestät zu denken.“
Chris hob überrascht die Brauen und zog Alec aus der Ecke
hinaus.
„Ich dachte ja immer, Damen wie Layla seien dein Ding. Aber
du strebst gleich ganz nach oben, oder?“
„Du liegst vollkommen falsch! Ihre Majestät ist nicht der
Grund für mein Erscheinen.“
„Und doch bist du hier, obwohl es ein Risiko darstellt.
Ich bleibe bei meiner Vermutung, dass es wegen einer einzelnen Person ist, die
du treffen möchtest. Ihre Majestät ist nahezu die einzige, die in Frage kommt,
und das ist auch in Ordnung, wenn es dich glücklich macht. Ich persönlich mag
ja eher Frauen mit einigen Rundungen an den richtigen Stellen, aber jedem das
Seine.“
„Das grenzt an Hoheitsbeleidigung.“
„Als ob ein kleiner Postbote mich verraten würde.“ Chris
winkte jemandem in der Menge zu und legte das strahlendste Gesellschaftslächeln
auf, das ihnen seit ihrer Kindheit antrainiert worden war. „So schön dieses
Gespräch auch war, wird es wohl ein jähes Ende erfahren.“
Alec drehte sich um und sah Cornelius Grisham auf sich
zukommen, einen alten Schulfreund von Chris, mit dem er nie richtig warm
geworden war.
„Pierce!“, sagte Grisham, was Alec zusammenzucken ließ.
Das geschah ihm immer, wenn er seinen richtigen Namen irgendwo hörte.
„Grisham, hast du auch eine Einladung ergattert? Ich
dachte, dein alter Herr gibt nicht viel auf Ereignisse der Krone.“
„Tut er auch nicht, aber ich habe ihn ausdrücklich daran
erinnert, dass es eine Ehre ist und keine Pflicht bei Hofe zu erscheinen, wenn
Ihre Majestät Geburtstag feiert.“ Er nickte Chris zu, ehe sein Blick auf Alec
fiel, als habe dieser sich soeben materialisiert. „Wer ist denn deine…
Bekanntschaft?“ Es klang wie Kakerlake.
„Mister Xander Park. Er hat sich um eine
Vorarbeiterstelle bei uns beworben und da er zufällig auch hier ist, dachte
ich, ich könne ein Gespräch mit ihm führen. Mister Park, das ist Cornelius
Grisham.“
„Hoch erfreut“, sagte Alec zähneknirschend.
„Ich hatte schon befürchtet, du hättest anderes mit dem Herrn
zu tun“, überging Cornelius ihn, was Alec mit den Augen rollen ließ.
Chris klopfte ihm auf die Schulter. „Mein Freund mag zwar
unlautere Motive hinter unserem Gespräch erwarten, doch seien Sie versichert,
dass Sie meine Erwartungen vollends erfüllen. Ich werde mit meinem Vater über
Ihre Anstellung reden und mich alsbald bei Ihnen melden. Sollte dies nicht
geschehen, scheuen Sie nicht zurück, mir zuerst zu schreiben. Ich bin mitunter
ein wenig langsam in meiner Korrespondenz.“ Alec nickte. „Und nun wünsche ich
Ihnen noch einen schönen Abend, Mister Park. Ein gut gemeinter Rat: Schauen Sie
nicht zu tief ins Glas.“
„Ihnen auch noch einen schönen Abend, Mister Pierce.“
Damit verschwand Chris zusammen mit Cornelius unter den
anderen Besuchern und ließ Alec verwirrt zurück. Wenn er ihn nicht zurückholen
oder zur Rechenschaft ziehen wollte, dann war diese Vorstellung doch vollends
unsinnig gewesen. Oder nicht? Alec biss sich auf die Unterlippe und verzog sich
wieder in die Ecke, in die Chris ihn zuvor gedrängt hatte. Sie waren sich nie
so nahe gewesen, dass Alec nun das Bedürfnis verspürte, sich dringend bei
seinem älteren Bruder melden zu müssen. Aber er hatte keine Standpauke zu hören
bekommen, wie schlecht konnte es also stehen.
Alec überlegte, doch zu gehen, indem er Unwohlsein
vortäuschte. Das wäre feige, würde jedoch weitere Vorfälle dieser Art
verhindern, immerhin konnte er sich nicht nur im Schatten aufhalten oder seine
Bahnen am Rand der Gesellschaft ziehen wie ein Verbrecher. Aber das würde nicht
nur Emmy und seinen Chef enttäuschen, es würde ihn auch der Gelegenheit berauben,
Angelique wiederzusehen, wenn auch nur aus der Ferne. Also blieb er. Vorerst.
Mir gefällt, wie du das Thema umgesetzt hast und ich hab diesen Text sehr genossen. Der Konflikt war wirklich interessant und sehr lebendig dargestellt. Auch wenn es hier wohl um Alec ging, fand ich es doch sehr, sehr schön mehr über Christopher Pierce zu erfahren. Und mehr von ihm zu lesen. :) *gespannt auf mehr*
AntwortenLöschenIch mag Chris auch - dabei war er nur ein Name, bis ich jemanden brauchte, dem Elrica im Wald begegnet. Er hat sich angeboten. Er wird seither gehegt und gepflegt.
LöschenWie wundervoll du das formuliert hast, Liebes! :3 <3 <3 <3
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