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[Überblick]

Ich fand, es ist mal an der Zeit, ein wenig Ordnung in die Challenge zu bringen. Immerhin ist es auch für mich schwierig geworden, immer die...

15.05.2019

[38 Cold Embrace]

Angelique is back in town!
Nach einer langen Durststrecke musste ich sie mal wieder schreiben.


Seit wir vor wenigen Wochen vom Land zurückgekehrt waren, konnte ich die Veränderung in Christopher sehen. Er verrichtete den Dienst, den er sich selbst aus mir noch immer unbekannten Gründen auferlegt hatte. Er war immer in meiner Nähe. Doch er hätte ferner nicht sein können. Vorüber waren die Zeiten, in denen ich mit ihm scherzen konnte, wenn uns niemand hörte. Sein Vertrauen in mich schien er vollends verloren zu haben.
Und nun stand er auf der anderen Seite der Tür, weil ein neuer Tag begonnen hatte. In einer halben Stunde würde ich geweckt werden. Kurz danach würde mir jemand in meine Kleider helfen und mich frisieren. Auf mich wartete ein kurzes Frühstück, das dem Ernährungsplan von Doktor Smith entsprach, der mich für zu dünn hielt, um diesem Land für lange Zeit zu dienen. Oder gar für einen Thronfolger zu sorgen, sofern ich jemals heiratete. Alles folgte einem geregelten Ablauf – genau wie immer.
Ich schlug meine Decke zur Seite, setzte mich auf. Mir stand ein weiterer Tag bevor, an dem nichts Bedeutsames geschehen würde, weil das nicht im Verlauf berücksichtigt wurde. In der Schwebenden Festung, vor so unvorstellbar langer Zeit, war ich auf gewisse Weise freier gewesen als hier. Das Leben als versteckte Prinzessin unter den Ehrenwerten Brüdern gehörte zu den Dingen, nach denen ich mich am meisten sehnte, so wenig es einige auch glauben würden.
Dies war nicht der Moment darüber nachzudenken.
Langsam stand ich auf und zog mir meinen Morgenrock über, ehe ich vor meiner Tür verharrte. Ich wusste, dass Christopher die Wachen auf der anderen Seite vor einiger Zeit abgelöst hatte, denn sie waren nur sein Ersatz in den Nachtstunden, damit auch er mal ruhen konnte. Seine Tage begannen früher als meine, obwohl das ungerecht war.
Ich atmete noch einmal tief durch, dann öffnete ich die Tür. Christopher blickte kurz zu mir, wandte den Blick dann wieder in den Gang.
„Bist du wütend auf mich?“, fragte ich leise.
Er seufzte. „Dann wäre ich schon verschwunden.“
Diese wenigen Worte beruhigten mich ein wenig. Ich wollte nicht, dass er wütend auf mich war oder mich im schlimmsten Fall sogar verachtete. Christopher war mir wichtig, was ich so niemandem sagen durfte, obwohl es alle ahnten. Aber man erwartete die falsche Beziehung zwischen uns.
„Was ist es dann? Du redest kaum noch mit mir.“
„Das steht mir auch gar nicht zu, wenn ich nicht angesprochen werde.“
Ich schaute ihn nur entgeistert an, obwohl ich mir lieber die Haare raufen wollen sollte. Seine Ablehnung war ganz anders als sein Verhalten vor kurzer Zeit gewesen war, sodass ich mit ihr nicht recht umzugehen wusste. Also folgte ich einem Impuls und stellte mich genau vor ihn, damit ihm weniger Möglichkeiten blieben, an mir vorbei zu schauen. Was vielleicht eindrucksvoller gewesen wäre, bestünde zwischen uns nicht eine gewisse Differenz in der Statur. Dennoch wagte er es nicht, seinen Blick in eine andere als meine Richtung zu wenden.
„Dann befehle ich dir jetzt, mit mir zu reden. In Ruhe.“ Mit einer Hand deutete ich auf meine Tür.
„Das ist, mit Verlaub, eine dumme Idee.“
Ich hielt seinem Blick stand, bis er sich meiner Anweisung fügte und in meinen Schlafraum ging. Das würde zu mehr Gerüchten führen und ich könnte eine Aussprache mit ihm jederzeit suchen. Doch jetzt, da ich endlich den Mut gefasst hatte, wollte ich es möglichst schnell hinter mich bringen.
Nachdem ich ihm in den Raum gefolgt war, schloss ich die Tür und machte mich so gerade ich konnte. Für meinen Leibarzt mochte ich zu dünn sein und somit wenig imposant wirken, aber ein wenig königliche Ausstrahlung musste ich ja besitzen.
„Was soll das?“, fragte Christopher gereizt.
„Diese Frage kann ich dir auch stellen. Ich verstehe nicht, was ich getan habe, dass du so auf mich reagierst.“
„Du hast nichts getan.“
Diese Worte hallten einige Augenblicke in meinen Ohren nach. Sie waren alles, was ich mir ständig selbst vorwarf. Ich war untätig, deshalb hatte sich das Volk nicht an mich gewöhnt. Aber das konnte es nicht sein, was Christopher meinte, also überlegte ich, während ich zu meinem Bett schritt, auf dem ich Platz nahm. Christopher blieb stehen und beobachtete mich. In seinen Augen sah ich eine Zurückhaltung, die ich von ihm nicht in meiner Gegenwart kannte. Eine unterschwellige Kälte, die mich in ihre Klauen nehmen wollte. Alles hatte angefangen, als-
„Was hätte ich denn mit Elrica machen sollen?“, fragte ich frei heraus. „Sie mit uns nach London holen? Ihr eine großzügige Summe als Wiedergutmachung für ihr Leid geben? Sie ist und bleibt eine Diebin, wenn auch unverschuldet, die mehrfach in den Palast eingebrochen ist. Meine Glaubwürdigkeit stünde auf dem Spiel, hätte ich mich noch mehr für sie eingesetzt.“
Christopher öffnete den Mund, sagte jedoch nichts. Stattdessen ging er vor mir in die Knie und nahm meine Hände in seine, so zärtlich, dass ich nichts mit der Geste anzufangen wusste.
„Wenn es nach mir ginge, müsste niemand leiden“, fuhr ich leiser fort, „erstrecht nicht wegen uralter Artefakte im Besitz dieses Königshauses. Es steht nur nicht in meiner Macht, das zu verhindern. Diese Banditen hätten jemanden gefunden, der ihnen hilft, wenn nicht sie, dann jemand anderen. Jemanden, der vielleicht nicht so stark ist wie Elrica. Vielleicht haben sie das ja auch. Und-“
„Ich bin froh, dass dieses Land eine so gütige Königin wie dich hat.“
Aus Christophers Stimme sprach Trauer nebst Erleichterung, eine Mischung, die mich verwirrte. Ich schaute zu ihm hinunter, wie er auf dem Boden verharrte und weiter meine Hände hielt, als hätte er das schon unzählige Male getan.
„Güte bringt nichts, wenn man nicht akzeptiert wird.“
Das war eine Lektion, die ich jeden Tag aufs Neue lernte. Ich mochte mich für meine gute Taten selbst loben, weil ich mit ihnen meinem eigenen Verhaltenskodex entsprach. Doch über kurz oder lang würde jemand wissen, wie man diesen Charakterzug gegen mich einsetzen konnte, um die Krone von meinem Kopf zu bekommen. Ich kannte die Klatschspalten, die mich als schwache Herrscherin verschrien – und die doch davon profitierten, dass ich ihre Schreiber nicht wegen Hoheitsbeleidigung oder Hochverrats zur Rechenschaft ziehen ließ.
„Ohne das Unglück in der Familie deines Onkels, Gott habe ihn selig, wärst du niemals in dieser Position. Gib dir Zeit, dich daran zu gewöhnen.“
„Ich- du lenkst vom Thema ab“, bemerkte ich ein wenig spät.
Christopher seufzte, schaute ohne Fokus auf unsere Finger. „Ich mache mir einfach Sorgen um Elrica, weil sie diesen großen Hof irgendwie bewirtschaften muss. Ihre Mutter hilft ihr mit den Tieren, aber ihr Bruder war so durcheinander, als wir ihn befreit haben, dass er wahrscheinlich keine Hilfe ist. Und sie selbst ist nicht mehr so mobil…“
An der Art, wie seine Stimme am Ende brach, erkannte ich erst, wie nahe ihm das Bild gegangen war, das Elricas Familie bei unserem kurzen Abschied geboten hatte. Mrs. Johnson war zwar überglücklich gewesen, beide Kinder wiederzuhaben, jedoch auch so ausgemergelt, dass ich gefürchtet hatte, sie könne an ihrer Freude zerbrechen. Bernard, den sie wohl Bernie nannten, war zu wenig mehr als kurzem Nicken fähig gewesen, wenn man ihn direkt ansprach. Und Elrica? Sie hatte für mich nicht auf diesen Hof gepasst, der eindeutig bessere Zeiten erlebt hatte.
Für mich war es schlimm gewesen, das alles zu sehen. Doch für Christopher, der eindeutig mehr Gefühle für Elrica hegte, als er jemals vor mir zugeben würde, musste dieses Bild eine Qual sein. Eine ständige Erinnerung daran, wie machtlos wir am Ende waren, selbst wenn wir jemanden liebten.
Ich rutschte von der Bettkante herunter und hockte mich vor Christopher auf den Boden, was ihn erst dazu brachte, mich wieder anzusehen. Seine blauen Augen strahlten nicht mehr so wie vor wenigen Wochen, dabei hatten sie mich immer im besten Sinn an Alec erinnert. Langsam entwand ich meine Hände seinem Griff und zog ihn dann unbeholfen in die Arme.
Jemanden zu halten, war für mich eine merkwürdige Erfahrung. Unter den Ehrenwerten Brüdern war es niemandem erlaubt gewesen, mich jemals in die Arme zu schließen, und all die Male, die meine Eltern mit mir geschmust haben mussten, waren längst vergessen. Einzig Alec hielt mich fest – auf eine viel intimere Art als diese.
Es dauerte einen Moment, bis Christopher sich in meinem Griff entspannte und ich seine Hände auf meinem Rücken spüren konnte, die sich im Stoff meines Morgenrocks und Nachthemds festhielten.
„Ich werde irgendeinen Weg finden, ihr zu helfen, das verspreche ich dir“, sagte ich unvorsichtig. Was war, wenn ich dieses Versprechen nicht halten konnte?
„Das lässt sie gar nicht zu.“
„Aber-“
„Angelique“, Christopher wich ein Stück zurück, wodurch mir sofort kalt wurde. „Deine Güte in allen Ehren: Wir wissen inzwischen beide, dass Elrica zu stolz ist, Hilfe anzunehmen.“
Meine Finger rutschten über seine Arme, während seine an meinen Seiten ruhten. Nach allem, was ich von Elrica erlebt hatte, lag er völlig richtig.
„Du wirst nie wieder Ruhe finden, wenn du nicht genau weißt, wie es ihr geht. Ich entlasse dich, wenn es dir hilft. Geh zu ihr. Sag ihr, dass du sie-“ Ich zögerte. „Dass du sie unterstützen möchtest. Sie wird das unnötig finden, aber wahrscheinlich doch einsehen.“
Die Spur eines Lächelns huschte über sein Gesicht, ehe er den Kopf schüttelte.
„Dann bekommst du jetzt einen Befehl von mir“, sagte ich und sah ihn ernst an, „schau nach ihr. Sieh dir an, wie es ihr geht. Danach entscheiden wir gemeinsam – im besten Fall, indem wir sie einbeziehen – was wir machen können.“
„Das wird niemals funktionieren.“
„Es ist ein Befehl deiner Königin.“
Sein Griff an meinen Seiten wurde stärker. „Warum tust du das? Für mich, meine ich.“
Das hatte ich mich auch schon gefragt, wenn ich nicht schlafen konnte. Es musste mir nicht nahegehen, wenn er sich wegen einer Diebin schlecht fühlte. Dennoch konnte ich sein Leid fast körperlich spüren.
„Weil du mich siehst. Du siehst Angelique und nicht die Königin.“
Seit er mich nicht mehr mit meinem Titel ansprach, auf den ich an neun von zehn Tagen gut verzichten konnte, hatte sich unser Verhältnis deutlich entspannt. Manchmal wusste ich zwar auch weiter nicht, was ich von ihm halten sollte, weil mir seine Beweggründe einfach schleierhaft waren, aber ich mochte seine Nähe.
„Wenn es mir möglich wäre, würde ich dich vor diesem ganzen Theater hier retten, das du nicht einmal willst. Ohne den Tod deines Onkels, Gott habe ihn selig, müsstest du das nicht durchmachen.“
Mir lagen viele Antworten auf der Zunge, die ich mir nicht erlaubte. Es war Gottes Fügung, dass ich nun die Position auskleidete, die mir von Geburt an zustand, also würde ich dies nicht hinterfragen.
„Lass uns nicht über etwas reden, was wir nicht ändern können, okay?“, sagte ich schließlich leise. „Du hast den Befehl deiner Königin gehört. Geh zu Elrica und schau nach ihr.“
Christopher nickte verhalten und war schon aufgestanden, als er sich noch einmal zu mir beugte. Er strich mir sanft über die Wange, was mich fast mehr verwirrte, als der kurze Kuss, den er mir auf die Stirn gab. Meinem fragenden Blick wich er aus, indem er zur Tür ging.
„Ich werde meine Vorbereitungen für die Reise Treffen, Majestät, und Euch alsbald Bericht erstatten.“ Damit war er verschwunden.
Ich blieb auf dem Boden sitzen, bis meine Zofe in den Raum kam und sofort besorgt fragte, ob alles in Ordnung sei. Mir blieb nichts, als sie zu versichern, dass es das war. Und doch ging mir die Frage nicht aus dem Kopf, wie es wirklich um das Verhältnis zwischen Christopher und mir stand.

2 Kommentare:

  1. Ooooh, es freut mich total, dass es weitergeht! Ich bin ganz aufgeregt und hibbelig! Mit Christopher habe ich richtig mitgelitten! Die Stimmung und der Sturm, der in ihm tot, hast du richtig gut getroffen.

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    1. Es freut mich total, das zu lesen :)
      Ich wundere mich immer wieder, wie nahe er und Angelique sich sind. Das war gar nicht meine Absicht.

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