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[Überblick]

Ich fand, es ist mal an der Zeit, ein wenig Ordnung in die Challenge zu bringen. Immerhin ist es auch für mich schwierig geworden, immer die...

07.06.2013

[30 minutes / female character / ink]

Ich wollte mich mal ein wenig ablenken und habe mir deshalb dieses Thema (bzw. die Themen?) geben lassen.
Es ist immer noch sehr interessant, mit einer so knappen Zeitbegrenzung zu arbeiten.
Man merkt dem Text an, dass ich gerade "The Host" von Stephenie Meyer gelesen habe. Mehr ist es wohl auch nicht. es steckt keine Geschichte dahinter, die ich irgendwie weiterspinnen könnte, keine Charaktere, nichts.

Have fun.




Sie erkannte sich nicht wieder, aber das wunderte sie nicht. Es war nicht das erste Mal, dass sie einen neuen Körper erhalten hatte – und es würde mit Sicherheit nicht das letzte Mal sein. Der Körper, aus dem sie gerade kam, war zerstört worden, zerfetzt von irgendwelchen Waffen, die sie nicht auf sich hatte zukommen sehen. An den Schmerz erinnerte sie sich nicht. Auch nicht daran, wie es war zu sterben. Aber so sollte es auch sein.
     Sie betrachtete sich im Spiegel, schaute jeden Zentimeter ihres neuen Gesichtes an. Es war dunkler als das davor, ein wenig runder, plumper. Zuvor war sie sehr hübsch gewesen, jetzt jedoch eher gewöhnlich. Keine hohen Wangenknochen mehr, keine vollen Lippen oder großen Augen.    
     Seufzend strich sie durch das lange Haar auf ihrem Kopf. Sie würde es auf jeden Fall schneiden lassen, denn es gab fast nichts, was sie weniger an sich mochte, als lange Haare, egal in welchem Körper. Da kümmerte es sie auch nicht, wie es der Person gehen würde, die vorher darin gelebt hatte – die Person, die in diesem Körper geboren worden war. Sie mochte keine langen Haare, da konnten andere sie noch so schön finden. Kinnlänge, das war in Ordnung.
     Hinter ihr räusperte sich der Doktor, der sie in diesen für sie neuen Körper transferiert hatte.
     „War ich wirklich zu kaputt, um geheilt zu werden?“, fragte sie mit ihrer neuen Stimme, hoch und mädchenhaft. Daran würde sie sich gewöhnen müssen.
     „Point of no return“, antwortete der Doktor. Ihn kannte sie schon seit sie hergekommen war, doch sie hätte es nicht gewusst, wenn er sich nicht jedes Mal, wenn er einen frischen Körper bezog, erneut bei ihr vorgestellt hätte. Jetzt war er ein mittelgroßer Mann mit struppigem blonden Haar, müden graugrünen Augen und einer schiefen Nase.
     „Passiert“, hörte sie sich zwitschern, ein wenig zu fröhlich.
     Sie richtete ihre Augen, diese neuen Augen, wieder auf das Spiegelbild. Ihr Gesicht war plump, das mochte Stimmen, aber ihr Körper war zierlich.
     „War keine mit Brüsten frei?“, fragte sie so genervt wie der Körper es zuließ.
     „Wir hätten genug Silikon da“, der Doktor klang belustigt.
     „Das wäre nur eine unnötige Verzögerung.“
     Wieder fuhr sie mit ihren Fingern durch ihr Haar, eine Geste, die dieser Körper unzählige Male ausgeführt hatte. Es war schwarz wie die Nacht, schwarz wie Tinte, schwarz wie die Welt aus der sie hergekommen waren. Ihre Augen wirkten königsblau im Licht der Station, auf der sie sich befanden.
     „Du musst noch ein wenig bleiben, aber das weißt du ja.“
     Es konnte Probleme geben, wenn man frisch eingesetzt worden war. Wahnvorstellungen. Plötzliche Schreierei. Emotionale Ausbrüche. Man musste sich erst mit dem Körper anfreunden, ihn verstehen und ihn gleichzeitig unterdrücken. Sie hatte das schon sooft gemacht, dass sie sich sicher war, es wieder einmal schnell hinzukriegen.
     „‘kay. Krieg ich was zu lesen?“
     „Was möchte denn dein Körper haben?“
     „Hm...“, sie überlegte lange, strich dabei immer weiter durch das furchtbar lange Haar, gerade so, als sei das Mädchen, das sie ersetzen sollte, noch nicht ganz verschwunden. Aber das waren nur Reflexe, die sich nicht so schnell ausschalten ließen. Sie war sich sicher, dass sie in dem Moment, in dem ihre Haare gekürzt wurden, anfangen würde zu weinen. Nicht ihretwegen, sondern wegen des Mädchens, das sicher stolz auf die Teile gewesen war. Warum auch immer. „Ich glaube, sie mochte Manga. Glaube ich...“ Es war nicht mehr als eine ungenaue Vermutung, etwas, das ihr bekannt vorkam. „Aber ich möchte lieber eine Zeitung.“
     Damit sie wusste, welcher Tag war. Damit sie lesen konnte, was geschehen war. Damit sie erfuhr, wie dieses Mädchen, das von ihr verdrängt worden war, auf den Geruch von Druckerschwärze reagierte – und wie auf die schwarzen Spuren auf ihren Fingern, wenn es sich denn wirklich um eine ganz frische Zeitung handelte.
     „Wir haben keine da, fürchte ich“, der Doktor wippte von einem Fuß auf den anderen. „Du kannst deine Akte lesen, die Tinte müsste inzwischen trocken sein.“
     Tinte.  Etwas regte sich in ihr, wenn sie das hörte. Natürlich kam das nicht von ihr selbst, ihr bedeutete Tinte nichts. Das Mädchen reagierte.
     „Das ertrag ich nicht. Hast du nichts anderes hier?“
     „Leider nicht, nein.“
     Nichts zu lesen. Sie wollte seufzen, doch sie konnte sich nicht dazu bringen. Dieses plumpgesichtige Mädchen mit dem schmalen Körper war keine Leseratte gewesen. Ihr hatten Bücher nichts bedeutet, wenn keine Bilder darin waren. Furchtbar. Der letzte Körper, der mit dem schönen Gesicht und den langen Beinen, der war ganz versessen auf immer neue Geschichten gewesen. Immer wieder waren neue Bücher da gewesen, die sie gelesen hatte, um sich und den Körper zu befriedigen. Mit der Plumpgesichtigen konnte sie das wohl vergessen, so traurig es auch war.
     Der ursprüngliche Bewohner eines Körpers war immer da, immer irgendwo unter Verschluss gehalten, für den Fall, dass auf sein Wissen zugegriffen werden musste. Meistens war das nicht nötig.
     „Die Kleine hatte wohl eine kreative Ader“, plauderte der Doktor, „jedenfalls ist bei ihr ein Skizzenbuch gefunden worden.“
     Ihr Herz schlug höher. Ja, Skizzen, zeichnen, Tinte. Das war die Verbindung. Die Plumpe war kein Freund des Lesens gewesen, dafür aber einer des Zeichnens. Sie konnte das Kribbeln in den Fingerspitzen fühlen, den Drang, sich Zettel und Bleistift zu nehmen, wenn keine Tinte greifbar war. Tintenzeichnungen waren ihr das liebste Medium gewesen.
     „Du siehst nicht begeistert aus.“
     „Ich habe Kunst nie verstanden, deshalb ist es ungewohnt, jetzt etwas in die Richtung machen zu wollen.“
     „Ich habe dir ja gesagt, dass du dich noch ein wenig hier ausruhen sollst, um dich auf alles einzustellen.“
     Der Doktor kam zu ihr und legte ihr brüderlich eine Hand auf die Schulter. Sie errötete, ohne dass es Sinn machte.
     „Ha!“, er grinste. „Das habe ich bei dir noch nie gesehen! Die Kleine ist wirklich anders als die anderen davor.“
     „Anscheinend hat sie nie einen Mann gesehen...“
     „Keinen so tollen wie mich!“
     Das war doch zum Verrücktwerden! Von dem Doktor, der einem zugeteilt worden war, berührt zu werden, sollte ganz natürlich sein – und das war es für sie auch. Doch der Körper war in diesem Augenblick stärker als der Geist, reagierte auf die Wärme der fremden, männlichen Hand und wollte sich schüchtern in einer Ecke verkriechen. Was sie ihm nicht erlaubte.
     „Menschliche Reproduktion funktioniert gut mit etwas Schüchternheit. Jedenfalls die erste Phase. Ich habe das nie ganz verstanden, aber Menschen scheinen es irgendwie als nett zu empfinden, wenn sich der Partner ziert“, versuchte der Doktor sein Bestes, es ihr zu erklären.
     „Ich habe genug Bücher gelesen, danke.“ Der Reiz an den Büchern der Menschen war, dass so wenig Logik hinter ihren Handlungen und Gefühlen stand. Vor allem hinter ihren Gefühlen. Sie waren zu emotional, zu wenig logisch. Nichts was sie taten, machte einen Sinn.
     „Sie versuchen, ihr ganzes Leben zusammen zu bleiben, obwohl sie wissen müssten, dass sie nicht dafür gemacht sind.“
     „Ich weiß, Doc.“

     Einmal, im vorletzten Körper, war sie auch emotional gewesen, so sehr, dass sie die Frau, in der sie gesteckt hatte, mit einer Überdosis eines Schlafmittels töten musste, um dem zu entfliehen.

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