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[Überblick]

Ich fand, es ist mal an der Zeit, ein wenig Ordnung in die Challenge zu bringen. Immerhin ist es auch für mich schwierig geworden, immer die...

22.05.2016

[Lautmalerei]

Meine Fahrten zur Arbeit sind lang, das sei vorweg gesagt. Ich verbringe mehr Zeit mit Fahren, als ich während der Arbeitszeit an Pausen zugesprochen bekomme. Was macht man also, wenn man nur sitzen kann und gerade keine Lust darauf hat, etwas zu lesen? Man schreibt. Oder besser gesagt: ich mache das so. Manchmal jedenfalls. Es hat Monate gedauert, bis ich auf diese Weise einen Collegeblock mit allerlei Ideen gefüllt hatte. Der neue Block ist gerade erst eine gute Woche alt - und ein Wer daraus, wollte ich gerne hier teilen, weil es mir gefällt.
Ich habe mir nichts Großes dabei gedacht, es gibt keine Hintergrundgeschichte. Alles ist vage genug gehalten, dass im Hintergrund ein riesiges Universum voller Irrungen und Wirrungen stecken könnte, voller Intrigen und Korruption.
Aber es gibt keinen Hintergrund.
Seht dieses kleine Werk als Prolog einer Geschichte, die es niemals geben wird, ein unvollendetes Buch, ein Meisterwerk aus meiner Feder.




Tropf… Tropf…
Mina hörte dem Wasser zu, das im immer gleichen Rhythmus auf den Boden tropfte. Wie lange sie das schon tat, konnte sie nicht sagen, weil sie in der Finsternis jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Sie aß, wenn man ihr etwas brachte, schlief, wann sie wollte. Zu tun gab es nichts, außer den eigenen Gedanken zu lauschen und den üblen Geruch zu ignorieren, der inzwischen auch von ihr ausging.
Tropf… Tropf…
Manchmal wünschte Mina, sie könne durch die Zeit reisen, um ihr jüngeres Ich vor Seth zu warnen, doch meist lachte sie schnell über diesen törichten Traum. Ohne Seth wäre ihr Leben über lange Strecken viel trostloser gewesen, das wusste sie. Ein Teil von ihr war noch immer in ihn verliebt – ein anderer wollte ihn leiden lassen.
Die Liege unter ihr knarrte, als sie sich in eine bequemere Position brachte, und noch mehr, als ein lautes Geräusch sie einen erschrockenen Satz machen ließ. Ihr Herz raste wie immer beim Klang dieser Explosionen und den ihnen folgenden Schreie irgendwo in der Stadt. Inzwischen hatte Mina angenommen sich daran gewöhnt zu haben, keinerlei Vorwarnung mehr zu erhalten. Doch wie so oft war die Realität eine andere.
Tropf… Tropf…
Der Rhythmus war identisch, nur wirkten die Tropfen im Getöse des Terrors, dessen Klänge in die Zelle drangen, leiser. Es war das erste Mal, dass Mina sich nur auf dieses immer gleiche Geräusch konzentrieren wollte und es dennoch nicht schaffte.
Tropf… Tropf…
Schwere Schritte nahmen ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. War es schon wieder Zeit für Essen? Ein Nachtmahl oder eher Frühstück? Sie drehte ihr schärferes Ohr zur Tür, in der eine Klappe eingelassen war, durch die eine flucht unmöglich war, jedoch Essen gereicht wurde. Vielleicht war diesmal etwas wirklich Genießbares dabei oder sogar Obst.
Sie hörte wieder der Schlüssel in das Schloss gesteckt wurde und merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Das Geräusch kam von zu weit oben an der Tür, was nur bedeuten konnten, dass jemand im Begriff war, sie zu öffnen.
Eine leise Hoffnung flammte in Mina auf, obwohl mit ihr Zweifel einhergingen. Beklommen blieb Mina vorerst ruhig sitzen und wartete ab, was als nächstes geschah. In der Dunkelheit war sie ohnehin unsicher, um schnell genug zur Tür zu kommen, die Person, die aufgeschlossen hatte, zu überwältigen, und auch noch zu entwischen. So bestand nicht einmal die Möglichkeit einer gelingenden Flucht. Ein Rascheln. Leichtere Schritte, die zu schnell aufeinander folgten. Etwas fiel zu Boden. Die Tür knallte wieder ins Schloss.
Tropf… Tropf…
Mina ließ den Atem hinaus, den sie wohl aus Reflex angehalten hatte, und lauschte noch angestrengter als zuvor. Die Panik der Menschen draußen, die Schreie und Wehklagen blendete sie so gut es ging aus, damit sie herausfand, was wieder begonnen hatte auf dem Boden ihrer Zelle zu rascheln. Langsam stand sie auf und machte zwei zittrige Schritte auf unsicheren Beinen vor, doch ein Ächzen brachte sie zum Stehen.
„Wer… was…?“, sagte eine tiefe Stimme von unten.
Das leichte Lächeln legte sich wie von selbst auf Minas Lippen. „Hallo, Jon.“
„Mina?“, er stöhnte, als er sich wohl aufsetzte, „Du bist hier?“
„Offenbar.“
„Wir dachten, du wärst…. Was ist denn passiert?“
Sie seufzte und ließ sich auf den Boden sinken, was ihr sicherer schien als zu stehen. Ihre Finger rieben über ihre plötzlich schmerzenden Schläfen, um ihr etwas Zeit zu verschaffen, die richtigen Worte zu finden. Doch nichts kam.
„Seth“, presste sie schließlich hervor.
Jon bewegte sich begleitet von einem abgehackten Lachen. „Wieso überrascht mich das bloß nicht?“, fragte er sarkastisch. „Wie es aussieht, haben wir uns alle in ihm getäuscht.“
Tropf… Tropf…
Es dauerte eine Weile, bis Mina alle Gefühle, alle Erinnerungen soweit geordnet hatte, dass sie etwas erwidern konnte: „Was hat er euch denn erzählt, was mit mir passiert ist?“
„Ihr seid getrennt worden. Er hat nach dir gesucht, ohne dich zu finden und ist total in Panik geraten, weil er sich solche Sorgen um dich gemacht hat. Er hat gesagt, er ist lange durch die Gegend geirrt, hat aber absolut nichts gefunden. Es gab für uns keinen Grund, ihm nicht zu glauben, nachdem unsere Suche auch nichts gebracht hat. Es tut mir leid.“
„Und mir erst.“
Mit einer Hand fuhr sie sich durch die Haare, ließ es jedoch sein, als ihre Fingerspitzen davon schmierig wurden.
„Wenn ich doch nur geahnt hätte, dass er lügt…“, Jons Satz klang leise aus, was ihr Zeit gab, verschiedene Enden dafür gedanklich durchzuspielen. Alle gefielen ihr.
„Es bringt ja doch nichts“, sagte sie trotzdem.
„Aber was ist denn wirklich gewesen?“
Mina holte tief Luft, sammelte sich noch einmal. „Nun, wir sind ja allein losgeschickt worden, um die Gegend auszukundschaften, und alles lief auch zuerst ganz gut, aber dann haben sie uns gefunden.“
„Weißt du wie?“
„Nein. Es waren zu viele, sie haben uns einfach überwältigt und dann hat Seth Muffensausen bekommen.“
Sie hörte eine Art Knurren von Jon, ehe er sich in ihre Richtung bewegte.
„Haben sie ihm gedroht?“
„Klar, aber mir doch auch. Gedroht und Angebote gemacht. Aber ich bin nicht einfach eingeknickt.“
Finger berührten sachte ihre Wange, ehe sich ein Arm um ihre Schulter legte. Es war die erste Berührung, die Mina seit langer Zeit von fremder Hand zukam, so dass sie sich sogleich neben den schmalen Körper neben ihr lehnte.
„Ich glaube trotzdem, dass er dich geliebt hat und es auch immer noch tut. Er sah in den letzten Wochen aus, als würde ihn etwas heimsuchen. Er hat kaum geschlafen und dann nur schlecht. Wir dachten, das wär‘ die Schuld an deinem, nun, Tod, die ihn wachhält. Vielleicht war es der Verrat an dir. An uns.“
„Sind die anderen…“
„Sie haben es rechtzeitig bemerkt und sind verschwunden. Ein paar von uns sind dageblieben, um die Leute Seiner Majestät“ – es hörte sich wie ein Fluch an – „aufzuhalten. Wer nicht getötet wurde, ist nun hier.“
Viele Namen schossen ihr durch den Kopf, doch sie wagte nicht zu fragen, wer den Toten, den Überlebenden und den Geflüchteten angehörte. Dass sich die Frauen nahezu ausnahmslos auf den Heimweg gemacht hatten, war ihr auch so klar, immerhin war das ihre Aufgabe. Auch Mina sollte inzwischen wieder in den Bergen und Wäldern sein, doch selbst wenn sie jemals wieder auf freien Fuß kam, war es ihr nicht mehr möglich, ihrer Aufgabe nachzukommen. Wahrscheinlich nie wieder.
Tropf… Tropf…
„Weißt du“, sagte sie mehr zu sich selbst, „mit Seth hat sich immer alles richtig angefühlt. An seiner Seite habe ich immer nach den Sternen gegriffen, aber ich habe zu spät verstanden, dass meine Arme dafür zu kurz sind.“
„Vielleicht hat er dich auch runtergezogen.“
„Das kann sein.“ Eine Träne rann ihre Wange hinab, die erste, seit sie in dieser Zelle gelandet war. „Ich habe ihm so viel von dem geglaubt, was er gesagt hat, weil die Zukunft, seine Vision davon zumindest, super war. Ich habe ihm vertraut und weiß jetzt nicht mehr, was er ehrlich gemeint hat und was nicht. Du siehst, was mir mein Vertrauen gebracht hat.“
Jon drückte einen zögerlichen Kuss neben ihr rechtes Auge, was wohl besser war, als sich so zu drehen, dass er darauf starren konnte. Mina kannte den Anblick, den sie jetzt abgab, nur aus Geschichten und Büchern: nichts an ihr war verändert, bis auf die Augen, die von der schwarzen Pupille vollkommen weiß waren. Man hatte sie auf diese Weise nicht nur gewissermaßen entstellt, sondern ihr auch die angeborene Fähigkeit, Magie zu nutzen, und das Augenlicht genommen. Dabei war sie bis zu diesem Moment, der sich als letztes böses Bild in ihr Gehirn gebrannt hatte, eine der vielversprechendsten Schülerinnen im Umgang mit Magie gewesen. Man hatte ihr eine große Zukunft als Schützerin vorausgesagt. Nun war sie ein Nichts, das ein Dasein in seinem eigenen Dreck fristete, bis es aus der schmutzigen Zelle gelassen wurde.
Tropf… Tropf…
„Wir kommen hier irgendwie wieder raus“, erklärt Jon. Sofort flackerte in Mina die Erinnerung an das Strahlen in seinem Gesicht auf, das sich nur zeigte, wenn er wirklich zuversichtlich war. Jon hatte sich trotz seiner Stellung in der Gemeinschaft niemals unterkriegen lassen. „Wir finden einen Weg uns Seth vorzuknöpfen und dir zu helfen. Es muss einfach einen geben! Und dann-“
Sie unterbrach ihn, indem sie sich an seiner Seite drehte und ihn schließlich sanft küsste. Sie wollte keine Zukunftsmusik mehr hören, die zu schön klang, um jemals wahr zu werden. Außerdem war es kein Geheimnis, dass Jon schon seit Jahren ein Auge auf sie geworfen hatte, die für ihn immer unerreichbar gewesen war. Jetzt brauchte sie ihn, seine Nähe, um sich ein wenig menschlicher zu fühlen. Dass ihr Herz nichts außer Freundschaft für ihn empfand, war ihr erstmal egal, denn es mochte sein, dass sie ihn irgendwann mit anderen Augen sah. Mit wieder gesundeten goldbraunen Augen.



2 Kommentare:

  1. Wahnsinn, was für wundervolle Geschichten dir auf deinem Arbeitsweg einfallen! Ich finds wunderbar. Es könnte ein Ausschnitt einer Fantasy-Trilogie sein.
    Es gibt so viele Fragen, dazu, was den Figuren geschehen ist. In welcher Welt und Zeit sie leben, welchen persönlichen Hintergrund sie haben. Wo die Geschichte anfing, wie sie weitergeht... du zauberst mit Worten immer einen Film auf die Gedankenleinwand.
    Du machst, dass man noch viel mehr über MIna und über Jon und ihre Geschichten erfahren will. Und neugierig auf eine andere Welt.

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    1. (Ich drücke immer auf "Abmelden", wenn ich meine Kommentare hier abschicken will... warum liegt der Button auch so doof?!)

      Lass dich mal von einem guten Ergebnis nicht reinlegen, was ich sonst auf meinen Arbeitswegen zustande bringe, ist kaum mehr als ein wenig Fluff mit meinen Lieblingen. <3
      Bei deinen Worten wünsche ich mir, ich könnte wirklich diese Welt erschaffen, um eine schöne Trilogie zu schreiben. Aber ich habe das Gefühl, dass ich diesem einen Ausschnitt die Magie raube, wenn ich ihn fortsetzen möchte. Das macht zwar gar keinen Sinn, aber die sorge ist einfach da. Hm.

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