Ich habe mir nichts Großes dabei gedacht, es gibt keine Hintergrundgeschichte. Alles ist vage genug gehalten, dass im Hintergrund ein riesiges Universum voller Irrungen und Wirrungen stecken könnte, voller Intrigen und Korruption.
Aber es gibt keinen Hintergrund.
Seht dieses kleine Werk als Prolog einer Geschichte, die es niemals geben wird, ein unvollendetes Buch, ein Meisterwerk aus meiner Feder.
Tropf… Tropf…
Mina hörte dem Wasser zu, das im immer gleichen Rhythmus
auf den Boden tropfte. Wie lange sie das schon tat, konnte sie nicht sagen,
weil sie in der Finsternis jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Sie aß, wenn
man ihr etwas brachte, schlief, wann sie wollte. Zu tun gab es nichts, außer
den eigenen Gedanken zu lauschen und den üblen Geruch zu ignorieren, der
inzwischen auch von ihr ausging.
Tropf… Tropf…
Manchmal wünschte Mina, sie könne durch die Zeit reisen,
um ihr jüngeres Ich vor Seth zu warnen, doch meist lachte sie schnell über
diesen törichten Traum. Ohne Seth wäre ihr Leben über lange Strecken viel
trostloser gewesen, das wusste sie. Ein Teil von ihr war noch immer in ihn
verliebt – ein anderer wollte ihn leiden lassen.
Die Liege unter ihr knarrte, als sie sich in eine
bequemere Position brachte, und noch mehr, als ein lautes Geräusch sie einen
erschrockenen Satz machen ließ. Ihr Herz raste wie immer beim Klang dieser
Explosionen und den ihnen folgenden Schreie irgendwo in der Stadt. Inzwischen
hatte Mina angenommen sich daran gewöhnt zu haben, keinerlei Vorwarnung mehr zu
erhalten. Doch wie so oft war die Realität eine andere.
Tropf… Tropf…
Der Rhythmus war identisch, nur wirkten die Tropfen im
Getöse des Terrors, dessen Klänge in die Zelle drangen, leiser. Es war das
erste Mal, dass Mina sich nur auf dieses immer gleiche Geräusch konzentrieren
wollte und es dennoch nicht schaffte.
Tropf… Tropf…
Schwere Schritte nahmen ihre Aufmerksamkeit in Anspruch.
War es schon wieder Zeit für Essen? Ein Nachtmahl oder eher Frühstück? Sie
drehte ihr schärferes Ohr zur Tür, in der eine Klappe eingelassen war, durch
die eine flucht unmöglich war, jedoch Essen gereicht wurde. Vielleicht war
diesmal etwas wirklich Genießbares dabei oder sogar Obst.
Sie hörte wieder der Schlüssel in das Schloss gesteckt
wurde und merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Das Geräusch kam von zu weit
oben an der Tür, was nur bedeuten konnten, dass jemand im Begriff war, sie zu
öffnen.
Eine leise Hoffnung flammte in Mina auf, obwohl mit ihr
Zweifel einhergingen. Beklommen blieb Mina vorerst ruhig sitzen und wartete ab,
was als nächstes geschah. In der Dunkelheit war sie ohnehin unsicher, um
schnell genug zur Tür zu kommen, die Person, die aufgeschlossen hatte, zu
überwältigen, und auch noch zu entwischen. So bestand nicht einmal die
Möglichkeit einer gelingenden Flucht. Ein Rascheln. Leichtere Schritte, die zu
schnell aufeinander folgten. Etwas fiel zu Boden. Die Tür knallte wieder ins
Schloss.
Tropf… Tropf…
Mina ließ den Atem hinaus, den sie wohl aus Reflex
angehalten hatte, und lauschte noch angestrengter als zuvor. Die Panik der
Menschen draußen, die Schreie und Wehklagen blendete sie so gut es ging aus,
damit sie herausfand, was wieder begonnen hatte auf dem Boden ihrer Zelle zu
rascheln. Langsam stand sie auf und machte zwei zittrige Schritte auf
unsicheren Beinen vor, doch ein Ächzen brachte sie zum Stehen.
„Wer… was…?“, sagte eine tiefe Stimme von unten.
Das leichte Lächeln legte sich wie von selbst auf Minas
Lippen. „Hallo, Jon.“
„Mina?“, er stöhnte, als er sich wohl aufsetzte, „Du bist
hier?“
„Offenbar.“
„Wir dachten, du wärst…. Was ist denn passiert?“
Sie seufzte und ließ sich auf den Boden sinken, was ihr
sicherer schien als zu stehen. Ihre Finger rieben über ihre plötzlich
schmerzenden Schläfen, um ihr etwas Zeit zu verschaffen, die richtigen Worte zu
finden. Doch nichts kam.
„Seth“, presste sie schließlich hervor.
Jon bewegte sich begleitet von einem abgehackten Lachen. „Wieso
überrascht mich das bloß nicht?“, fragte er sarkastisch. „Wie es aussieht,
haben wir uns alle in ihm getäuscht.“
Tropf… Tropf…
Es dauerte eine Weile, bis Mina alle Gefühle, alle
Erinnerungen soweit geordnet hatte, dass sie etwas erwidern konnte: „Was hat er
euch denn erzählt, was mit mir passiert ist?“
„Ihr seid getrennt worden. Er hat nach dir gesucht, ohne
dich zu finden und ist total in Panik geraten, weil er sich solche Sorgen um
dich gemacht hat. Er hat gesagt, er ist lange durch die Gegend geirrt, hat aber
absolut nichts gefunden. Es gab für uns keinen Grund, ihm nicht zu glauben,
nachdem unsere Suche auch nichts gebracht hat. Es tut mir leid.“
„Und mir erst.“
Mit einer Hand fuhr sie sich durch die Haare, ließ es
jedoch sein, als ihre Fingerspitzen davon schmierig wurden.
„Wenn ich doch nur geahnt hätte, dass er lügt…“, Jons
Satz klang leise aus, was ihr Zeit gab, verschiedene Enden dafür gedanklich
durchzuspielen. Alle gefielen ihr.
„Es bringt ja doch nichts“, sagte sie trotzdem.
„Aber was ist denn wirklich gewesen?“
Mina holte tief Luft, sammelte sich noch einmal. „Nun,
wir sind ja allein losgeschickt worden, um die Gegend auszukundschaften, und alles lief auch
zuerst ganz gut, aber dann haben sie uns gefunden.“
„Weißt du wie?“
„Nein. Es waren zu viele, sie haben uns einfach
überwältigt und dann hat Seth Muffensausen bekommen.“
Sie hörte eine Art Knurren von Jon, ehe er sich in ihre
Richtung bewegte.
„Haben sie ihm gedroht?“
„Klar, aber mir doch auch. Gedroht und Angebote gemacht.
Aber ich bin nicht einfach
eingeknickt.“
Finger berührten sachte ihre Wange, ehe sich ein Arm um
ihre Schulter legte. Es war die erste Berührung, die Mina seit langer Zeit von
fremder Hand zukam, so dass sie sich sogleich neben den schmalen Körper neben
ihr lehnte.
„Ich glaube trotzdem, dass er dich geliebt hat und es
auch immer noch tut. Er sah in den letzten Wochen aus, als würde ihn etwas
heimsuchen. Er hat kaum geschlafen und dann nur schlecht. Wir dachten, das wär‘
die Schuld an deinem, nun, Tod, die ihn wachhält. Vielleicht war es der Verrat
an dir. An uns.“
„Sind die anderen…“
„Sie haben es rechtzeitig bemerkt und sind verschwunden.
Ein paar von uns sind dageblieben, um die Leute Seiner Majestät“ – es hörte sich wie ein Fluch an – „aufzuhalten.
Wer nicht getötet wurde, ist nun hier.“
Viele Namen schossen ihr durch den Kopf, doch sie wagte
nicht zu fragen, wer den Toten, den Überlebenden und den Geflüchteten angehörte.
Dass sich die Frauen nahezu ausnahmslos auf den Heimweg gemacht hatten, war ihr
auch so klar, immerhin war das ihre Aufgabe. Auch Mina sollte inzwischen wieder
in den Bergen und Wäldern sein, doch selbst wenn sie jemals wieder auf freien
Fuß kam, war es ihr nicht mehr möglich, ihrer Aufgabe nachzukommen. Wahrscheinlich
nie wieder.
Tropf… Tropf…
„Weißt du“, sagte sie mehr zu sich selbst, „mit Seth hat
sich immer alles richtig angefühlt. An seiner Seite habe ich immer nach den
Sternen gegriffen, aber ich habe zu spät verstanden, dass meine Arme dafür zu
kurz sind.“
„Vielleicht hat er dich auch runtergezogen.“
„Das kann sein.“ Eine Träne rann ihre Wange hinab, die
erste, seit sie in dieser Zelle gelandet war. „Ich habe ihm so viel von dem
geglaubt, was er gesagt hat, weil die Zukunft, seine Vision davon zumindest,
super war. Ich habe ihm vertraut und weiß jetzt nicht mehr, was er ehrlich
gemeint hat und was nicht. Du siehst,
was mir mein Vertrauen gebracht hat.“
Jon drückte einen zögerlichen Kuss neben ihr rechtes
Auge, was wohl besser war, als sich so zu drehen, dass er darauf starren
konnte. Mina kannte den Anblick, den sie jetzt abgab, nur aus Geschichten und
Büchern: nichts an ihr war verändert, bis auf die Augen, die von der schwarzen
Pupille vollkommen weiß waren. Man hatte sie auf diese Weise nicht nur
gewissermaßen entstellt, sondern ihr auch die angeborene Fähigkeit, Magie zu
nutzen, und das Augenlicht genommen. Dabei war sie bis zu diesem Moment, der
sich als letztes böses Bild in ihr Gehirn gebrannt hatte, eine der
vielversprechendsten Schülerinnen im Umgang mit Magie gewesen. Man hatte ihr
eine große Zukunft als Schützerin vorausgesagt. Nun war sie ein Nichts, das ein
Dasein in seinem eigenen Dreck fristete, bis es aus der schmutzigen Zelle
gelassen wurde.
Tropf… Tropf…
„Wir kommen hier irgendwie wieder raus“, erklärt Jon.
Sofort flackerte in Mina die Erinnerung an das Strahlen in seinem Gesicht auf,
das sich nur zeigte, wenn er wirklich zuversichtlich war. Jon hatte sich trotz
seiner Stellung in der Gemeinschaft niemals unterkriegen lassen. „Wir finden
einen Weg uns Seth vorzuknöpfen und dir zu helfen. Es muss einfach einen geben!
Und dann-“
Sie unterbrach ihn, indem sie sich an seiner Seite drehte
und ihn schließlich sanft küsste. Sie wollte keine Zukunftsmusik mehr hören,
die zu schön klang, um jemals wahr zu werden. Außerdem war es kein Geheimnis,
dass Jon schon seit Jahren ein Auge auf sie geworfen hatte, die für ihn immer
unerreichbar gewesen war. Jetzt brauchte sie ihn, seine Nähe, um sich ein wenig
menschlicher zu fühlen. Dass ihr Herz nichts außer Freundschaft für ihn
empfand, war ihr erstmal egal, denn es mochte sein, dass sie ihn irgendwann mit
anderen Augen sah. Mit wieder gesundeten goldbraunen Augen.
Wahnsinn, was für wundervolle Geschichten dir auf deinem Arbeitsweg einfallen! Ich finds wunderbar. Es könnte ein Ausschnitt einer Fantasy-Trilogie sein.
AntwortenLöschenEs gibt so viele Fragen, dazu, was den Figuren geschehen ist. In welcher Welt und Zeit sie leben, welchen persönlichen Hintergrund sie haben. Wo die Geschichte anfing, wie sie weitergeht... du zauberst mit Worten immer einen Film auf die Gedankenleinwand.
Du machst, dass man noch viel mehr über MIna und über Jon und ihre Geschichten erfahren will. Und neugierig auf eine andere Welt.
(Ich drücke immer auf "Abmelden", wenn ich meine Kommentare hier abschicken will... warum liegt der Button auch so doof?!)
LöschenLass dich mal von einem guten Ergebnis nicht reinlegen, was ich sonst auf meinen Arbeitswegen zustande bringe, ist kaum mehr als ein wenig Fluff mit meinen Lieblingen. <3
Bei deinen Worten wünsche ich mir, ich könnte wirklich diese Welt erschaffen, um eine schöne Trilogie zu schreiben. Aber ich habe das Gefühl, dass ich diesem einen Ausschnitt die Magie raube, wenn ich ihn fortsetzen möchte. Das macht zwar gar keinen Sinn, aber die sorge ist einfach da. Hm.