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[Überblick]

Ich fand, es ist mal an der Zeit, ein wenig Ordnung in die Challenge zu bringen. Immerhin ist es auch für mich schwierig geworden, immer die...

05.05.2017

[15 Dreams]

Es ist wie so oft in dieser Challenge. Oder mittlerweile bei nahezu jedem Beitrag. Ich hatte eine völlig andere Idee. Träume einer Tänzerin. Alpträume. Traumwelten. Aber nichts funktionierte. Also besann ich mich auf Charaktere und Situationen, die ich kenne und weiterführen muss.



Als Elrica aufwachte, war sie sich nicht sicher, was geschehen war. Alles war undeutlich, alles war sehr klar. Ihre Lider fielen ihr immer wieder zu, sodass sie mehrfach blinzeln musste, um fokussieren zu können. Nur, was? Eine hölzerne Decke, an der sich Muster von flackernden Kerzen abzeichneten.
Sollte sie nicht zuhause sein, auf dem Hof, wo Bernie-
Bei der plötzlichen Erinnerung setzte sie sich ruckartig auf, kippte aber gleich wieder zurück auf ein Kissen. Ein Bett. Sie war in einem fremden Bett und damit weit weg von ihrem Bruder.
Die Männer hatten Bernie, den sie nicht herausrückten, ehe sie Stille bekamen. Elrica hatte diesen Stein nicht in die Finger gekriegt und war deswegen unvollendeter Dinge zurückgekehrt. Danach war alles nur noch verschwommen. Sie erinnerte sich an Schläge, an Schmerzen – und an einen Zeitraum von vier Wochen, der sehr großzügig sei. Gelang es ihr diesmal nicht Stille aufzutreiben, war es um Bernie geschehen.
Deswegen war sie doch wieder durch den Fluchttunnel gerobbt, mit schmerzenden Gliedern, und hatte sich gewünscht, dass sie nur noch ein wenig länger aushielt. Wie lange mochte das her sein? Und hatte sie es überhaupt geschafft? Oder war es am Ende nur eine Einbildung gewesen?
Sie schaute zur Seite, wo sie einen Stuhl entdeckte, der zu ihrem Erstaunen nicht unbesetzt war. Müde schaute ein Paar zu eng zusammenstehende Augen zu ihr herüber, ohne dabei eine gewisse Erleichterung überspielen zu können.
„Was ist“, krächzte Elrica mit rauem Hals, sodass Christopher ihr sofort einen Becher mit Wasser an die Lippen hielt, der wohl eigentlich für ihn selbst bestimmt war. Sie trank gierig und nahm dabei in Kauf, dass einiges daneben ging.
„Was ist passiert? Wieso bin ich hier?“, fragte sie mit kratziger Stimme.
Christopher stellte den Becher auf einem Schemel neben dem Bett ab, ehe er seinen Stuhl näher zu Elrica schob und leise seufzte.
„Ich weiß es nicht.“
Beim Klang seiner Stimme setzte ihr Herz einen Schlag lang aus.
„Wieso?“
„Du bist wohl hergekommen, um mich zu sehen, aber du warst schon bewusstlos, als ich geholt wurde. Ich weiß nur, dass du an deinen Verletzungen fast gestorben wärst.“
Die Schläge und Tritte, die in ihrer Erinnerung keinen Sinn ergaben, mussten die Ursache dafür sein.
„Aber ich lebe.“
„Aber du lebst.“
Er sah glücklich aus, wenn er das sagte, doch etwas Anderes mischte sich in seinen Blick. Schuld? Elrica hatte keine Zeit sich um seine Befindlichkeiten zu sorgen, es ging um Bernie. Sie setzte sich auf und versuchte sich nicht wieder vom Schwindelgefühl übermannen zu lassen.
„Wie lang bin ich hier?“
Die Muskeln in Christophers Schulter spannten sich an, je länger sie saß. „Eine Woche – eher eineinhalb. Du musst dich weiter ausruhen. Ihre Majestät sorgt dafür, dass du hier möglichst ungestört bist. Na ja, mit meinen Besuchen wirst du dich schon arrangieren müssen.“
Das würde nur Bernie nicht helfen. Sie hatte schon zu viel Zeit verloren, die sie jetzt irgendwie aufholen musste.
„Ich muss aber weg“, sagte sie bestimmt, was ihrem rauen Hals nicht guttat, „du weißt, dass ich Stille brauche – und irgendwie werde ich ihn ohne deine Hilfe kriegen.“
„Komm schon“, sagte er, „bleib erst mal ganz ruhig und denk‘ nicht daran. Es gibt da noch etwas… Wichtiges, das ich dir sagen muss.“
Nein, sie hatte hier genug Zeit verplempert! Sie musste weg, weil sie diesen Stein brauchte. Sie musste ihren geschwächten Zustand ignorieren und einfach funktionieren, schließlich ging es hier nicht um sie! Wie sie an Stille herankam? Irgendwie. Zuerst musste sie einfach weg von Christopher, dessen Anblick dazu führte, dass ihr noch schummriger wurde.
Also beachtete sie ihn nicht weiter, als sie die Decke zur Seite schlug und aufstand. Zu schnell. Alles drehte sich, sie verlor den Halt und Christopher musste sie auffangen. Seine Arme schlossen sich fest um sie und zogen sie viel zu nah an seinen Körper.
„Lass mich los!“, fauchte sie, doch er lockerte seinen Griff nicht.
„Es tut mir so leid. Wir hatten die Wahl dich sterben zu lassen oder dich zu retten. Ihre Majestät, Sie… Sie hat entschieden, alles für dein Überleben zu tun.“
„Wovon redest du?“
Mit der Vorsicht einer jungen Mutter setzte er sie auf das Bett, ehe er vor ihr in die Knie ging. Er griff nach dem Saum ihres langen Nachthemds, was sie nur zuließ, weil er dabei so ernst aussah.
„Dein linkes Bein war in einem schrecklichen Zustand. Der königliche Leibarzt sagte, es sei zu spät für dich, aber das nahm Ihre Majestät so nicht hin. Sie schickte nach Abt Spring, dem es wirklich gelang, dich zu retten. Er hat getan, was er konnte. Dein Bein… es hätte dich vergiftet, bis du daran gestorben wärst. Es hätte dich getötet. Also…“, Christopher schluckte, dann atmete er tief durch. Sie hörte ihm seinen Unwillen an, mit seiner Geschichte fortzufahren.
„Also, was?“
„Er musste es amputieren. Unter dem Knie. Dein Leben war Ihrer Majestät- nein, es war mir wichtiger als dein Bein.“
Sie konnte ihn erst nur fragend anschauen und verdattert mit dem Kopf schütteln.
Das konnte nicht sein. Er log sie bestimmt an, das entsprach ganz seiner perfiden Art von Humor, die er bei ihren letzten Treffen schon an den Tag gelegt hatte. Er machte sich einfach gerne über sie lustig. Oder? Bestimmt!
Doch Christopher lachte nicht, er grinste nicht einmal. Vorsichtig schob er das Nachthemd hoch und brachte sie dazu sich anzusehen, was von ihrem linken Bein unterhalb des Knies übrig war. Ein Stumpf, den jemand in weiße Tücher gehüllt hatte.
„Aber… ich kann mein Bein doch noch fühlen!“, stieß sie hervor.
„Der Leibarzt Ihrer Majestät-“
„Ist mir egal!“
Elrica schaute vom Stumpf ihres Beines hin zu Christopher, den sie hassen wollte, weil… weil…
„Ich bin ein Krüppel“, sagte sie verzweifelt, „Schau mich an! Ich bin ein verdammter Krüppel!“
Christopher nahm ihre Hand, die begann zu zittern.
„Es wird dich einschränken, keine Frage. Aber du lebst! Das ist es, was jetzt zählt.“
Nein.
Nein!
Sie lebte auf einem Hof, den sie irgendwie bewirtschaften musste, das ging nicht am Stock. Sie konnte ja schlecht auf einem Bein Ställe ausmisten oder Felder bestellen. Und Bernie konnte sie so ganz bestimmt auch nicht retten.
Verzweifelte Tränen rannen heiß ihre Wangen hinunter.
„Was weißt du denn schon? Wenn du ein Bein verlierst, kehrst du in den Schoß deiner Familie zurück und lässt andere für dich arbeiten! Ich muss selbst anpacken! Ich hab’s nicht so gut wie du und deinesgleichen!“
Sie konnte den Blick nicht von den weißen Tüchern enden, als ihr ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf schoss: das hast du verdient.
Ihre Mutter hatte sie oft genug vor den Gefahren ihrer Diebeszüge gewarnt und auch Rowan, für den sie wohl die längste Zeit ein „Wiesel“ gewesen war, hatte oft versucht es ihr auszureden. Nichts wäre geschehen, hätte sie den Verlockungen durch frische Würste und Brote widerstehen können. Bernie wäre frei und sie wäre kein Krüppel.
„Es war selbstsüchtig von mir“, sagte Christopher beschämt, „Ich konnte dich einfach nicht verlieren. Ich… ich mache alles, was in meiner Macht steht, um dir zu helfen.“
Warum bloß? Sie schaute auf seine Hand, die immer noch ihre hielt, und beschloss dieses letzte Mal seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ohne ihre Diebeszüge stünde sie gar nicht bis zum Hals in seiner Schuld. Ohne ihn würde sie Bernie jetzt nicht mehr retten können.
Elrica atmete tief durch. Sie lud auf diese Weise doch nur noch mehr Schuld auf sich, irgendwann musste das zu ihr zurückkommen. Dabei hatte sie sich doch nur gewünscht, schöne Momente mit ihrer Familie verbringen zu können. Mit einem Stück des feinsten Kuchens zur Feier einer bestandenen Prüfung ihres kleinen Bruders. Und mit genug Geld, um die Schulden zu begleichen und wieder Hilfsarbeiter einstellen zu können.
„Ich brauche Stille. Nicht für mich. Es gibt Männer, die jemanden entführt haben, der mir sehr wichtig ist. Bringe ich ihnen diesen vermaledeiten Stein nicht, töten sie ihn und alles war umsonst.“
Einen Moment blieb Christopher ganz still, weil er wohl abwartete, ob noch mehr Worte folgten. Dann fragte er: „Wen haben sie denn?“
In seinen Augen sah sie neben Mitgefühl auch eine gewisse Angst. Wovor denn? Es hatte doch wenig mit seinem Leben zu tun, was in ihrem Leben alles schiefging.
„Meinen…“, die Worte blieben auf ihrer Zunge kleben, weil sie schon zu viel von sich preisgegeben hatte.
Christopher wartete geduldig ab, ehe er resigniert den Kopf schüttelte.
„Du wirst mir niemals trauen, oder?“, fragte er verletzt.
Elrica schaute weg, damit sie den Schmerz nicht in seinem Gesicht sehen musste. Sie verstand ja noch nicht einmal, wieso er sich überhaupt so sehr um sie sorgte, wo sie doch nur eine Fremde für ihn war. Sein Verhalten machte keinen Sinn – außer er sah sie wirklich als ein Experiment an, wie sie zuvor schon vermutet hatte.
„Wir müssen Stille schnell zu ihnen bringen, sonst schließt sich das Zeitfenster, das sie mir gegeben haben.“
Und wenn schon alles zu spät war? Würden die Männer sich als nächstes ihre Mutter schnappen? Oder Rowan? Sie brauchten ja nur ein Druckmittel, damit Elrica gewillt war, für sie zu arbeiten. Wenn sie es auch dann nicht schaffte, dann gab es eben eine Handvoll Erdenbürger weniger und sie suchten sich den nächsten kleinen Dieb, der in den Palast eindringen konnte. Hatte Elrica überhaupt den Hauch einer Chance? Königin Angelique hatte beim letzten Mal bereits deutlich gemacht, dass sie Stille nicht herausgeben würde, egal, wer darum bat.
Elrica fühlte frische Tränen auf ihren Wangen – und Finger, die sie weg wischten.
„Ich werde sehen, was ich tun kann“, sagte Christopher, während er seine Hand wieder zu sich zog, „Du musst aber kooperieren. Keine Alleingänge, in Ordnung?“
„Wohin soll ich Krüppel schon verschwinden?“
Er grinste sie schräg an, dann packte er sie so, dass er sie vor der Brust tragen konnte. Wut flammte in Elrica auf, ließ sie zappeln und ihm einen giftigen Blick zuwerfen, der von ihm abprallte.
„Was soll das?“
„Ich bringe dich in die Bäder der Angestellten und dann rede ich mit ihrer Majestät.“
Elrica hörte auf zu strampeln und hielt sich widerwillig an Christopher fest, damit er sie nicht fallen ließ. Ein kleiner Teil von ihr traute ihm eben doch, obwohl sie ihn das nicht so schnell wissen lassen würde. Es war der Teil, der sie angesichts ihres abgetrennten Beins nicht zu einem flennenden Häuflein Elend werden ließ.
Christopher würde ihr helfen. Er war Bernies letzte Chance.

2 Kommentare:

  1. Oh nein ;____;

    Aaaah, das hat gewaltig was von George R.R. Martin, was tust du der armen Elrica nur an? Ich bin gerade total fertig. Oh je. DAMIT hab ich wirklich nicht gerechnet, Liebes. Ich war zuerst einfach nur froh, dass sie überlebt hat, dann DAS zu lesen... das hat mich wirklich kalt erwischt! Ich kann so gut mit ihr mitfühlen.
    Ich freu mich, dass es weitergeht und alles, aber ich bin gerade total besorgt, was Elrica noch wird durchstehen müssen. Ich hab ein bisschen Angst, ehrlich gesagt.
    Also wirklich ganz, ganz großes Lob an deine Schreibkünste! Ich bin zwar immer noch geschockt von dieser Wendung der Dinge, aber auch sehr beeindruckt und begeistert davon, wie nahe du die Geschichte und deinen Charaktere/deren Schicksal dem Leser bringst. :)

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    1. >D >D >D

      Da ist mein Plan ja mal aufgegangen. Ich hatte befürchtet, es sei zu offensichtlich, was mit ihr geschehen wird - und habe mit mir gerungen, es doch anders ausgehen zu lassen. Aber ich wollte diesmal auch das Böse durchziehen, denn ich konnte sie auch irgendwie nicht ohne bleibenden Schaden da rauskommen lassen.
      Elrica hat es nicht verdient, dass sie so leiden muss, aber sie wird dadurch bestimmt nur stärker. <3 <3

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