Bei jeder Bodenwelle, die sie mit ihrem Wagen überfuhren,
konnte Elrica spüren, wie Christopher besorgt zu ihr schaute. Er war es
gewesen, der am meisten dagegen protestiert hatte, dass sie mitkommen wollte.
Nur Ihrer Majestät war es zu verdanken, dass es überhaupt dazu gekommen war.
Und das passte Elrica fast noch weniger.
„Die Wege hier sind in erbärmlichen Zustand“, sagte einer
von Christophers Kameraden, die sich mit in den Wagen gequetscht hatten. Es war
der Mann mit den karottenroten Haaren, dessen Namen sie sich partout nicht
merken konnte.
„Das liegt an den Wegelagerern. Die wollen dafür sorgen,
dass Räder brechen, dann haben sie leichteres Spiel“, erklärte sie
teilnahmslos, was jeder in der Gegend wusste.
Die Männer wechselten Blicke, denen anzusehen war, dass
sie aus ihrer Richtung keinen Kommentar dazu gewünscht hatten.
„Na dann. Für jemanden, der in den Palast einbricht, sind
solche Vorwürfe doch ein starkes Stück.“
Elrica funkelte den Mann an, der das zu ihr gesagt hatte.
Er mochte etwa so alt sein wie ihre Mutter, vielleicht ein wenig jünger. Der
alte Herr der Runde. Seinen Rang konnte sie nicht abschätzen, aber er konnte
nicht übermäßig hoch sein.
„Und was hat das eine mit dem anderen zu tun?“, fragte
Christopher.
„Na ja, als Verbrecherin-“
„Kann sie sich dennoch ein Urteil über das Unrecht
erlauben, das den Leute hier widerfährt, findest du nicht?“
Der Mann schaute Christopher verwirrt an. „Nein, finde
ich nicht.“
Elrica rollte mit den Augen, hob jedoch beschwichtigend
die Hand, als sie bemerkte, dass Christopher etwas dazu sagen wollte. Es machte
ihr nichts aus, wenn diese Männer sie für jemanden hielten, die am besten
eingesperrt werden sollte. Hier drehte es sich immerhin nicht um sie. Es drehte
sich darum, endlich Bernie aus den Fängen seiner Entführer zu bekommen, damit
er nach Hause zurückkehren konnte. Was dann aus ihnen werden sollte, musste
sich erst noch zeigen. Elricas Blick rutschte hinunter zu ihren Knien. Sie
konnte ihr linkes Bein manchmal immer noch spüren, obwohl sie genau wusste,
dass es für immer verloren war. So würde es schwer werden, richtig auf dem Hof
zu arbeiten. Sie würde viel länger für ihre Tätigkeiten brauchen als bisher.
Aber sie konnten es sich nicht erlauben, dass noch mehr Arbeit liegen blieb.
Mutter musste inzwischen krank vor Sorge um ihre Kinder sein. Dieser Gedanke
kam unerwartet und versetzte Elrica sogleich ein schlechtes Gewissen. Sie hatte
nur daran gedacht, dass sie Bernie irgendwie retten musste. Was mit ihrer
Mutter war, hatte sie dabei wenig im Auge behalten.
„Geoffrey“, sagte sie leise, sodass sich wieder alle zu
ihr drehten. Die Männer hatten sich ein Bild ihrer Beziehung gemacht, das so
nicht stimmte. Aber Elrica nahm es ihnen kaum übel, immerhin war Christopher
fast täglich an ihrer Seite gewesen, solange sie das Bett gehütet hatte – und
sie war eindeutig keine Verwandte von ihm, da würde sie auch eine Liebschaft
erwarten. Es war absurd, schützte sie jedoch vor zu großer Aufdringlichkeit
dieser Kerle. „Ist jemand verständigt worden, wie es mir geht?“
Er schüttelte den Kopf. „Du hast uns ja niemanden
genannt, dem wir etwas über deinen Verbleib sagen könnten.“ In seiner Stimme
schwang keine Anschuldigung mit, sondern einmal mehr Sorge. Sie konnte das
nicht mehr hören. Immerzu war er um sie besorgt!
Der Mann mit den karottenroten Haaren legte ein sanftes
Lächeln auf und nickte Elrica zu. „Das lässt sich doch aber nachholen. Es mag
vielleicht ein wenig spät sein, aber besser eine späte Nachricht, als gar
keine. Wer wartet denn auf deine Rückkehr, Elrica?“
Ihren Namen aus seinem Mund zu hören, passte ihr gar
nicht. Sie wäre lieber weiter eine Unbekannte für sie geblieben oder einfach
Miss Johnson, wie die meisten anderen sie nannten. Dennoch konnte sie nicht
umhin, für das Angebot dankbar zu sein.
„Meine Mutter. Sie weiß nicht, wohin ich gegangen bin,
weil ich erwartet habe, am gleichen Tag zurückzukehren.“
Sie wunderte sich selbst ein wenig über ihre
Blauäugigkeit, immerhin war ihr schnell klar gemacht worden, dass sie Stille
besorgen musste und das war kaum innerhalb eines einzigen Tages zu
bewerkstelligen. Es wäre einem Wunder gleichgekommen, hätte sie es innerhalb
von drei Tagen geschafft. Aber sie hatte sich einfach ein wenig Mut zusprechen
müssen, damit die Lage nicht ganz so aussichtslos wirkte.
„Ihre Majestät wird sicher eine Benachrichtigung an deine
Mutter zulassen“, sagte der Mann, „Ihr scheint einiges an dir und deinem
Wohlbefinden zu liegen.“ Er warf einen langen Blick zu Christopher, der das gar
nicht weiter registrierte.
Elrica schaute den Wachmann fragend an, weil sie nicht
verstand, dass er diese ganze Farce nicht längst durchschaut hatte. Eine
Liaison mit Christopher war so abwegig, dass er selbst es doch sehen musste.
Für Christopher Pierce war sie nichts als ein schützenswerter Welpe, jemand,
bei dem er zeigen konnte, was für ein großer Held er doch war. Dabei blieb er
einfach der Sohn eines Mannes, der andere Leute zu viel geringen Löhnen
schuften ließ. Jetzt wollte er an einer Frau aus dem Volk einfach zeigen, dass
er theoretisch auch anders handeln konnte. Dass er dabei hin und wieder seinen
Charme ein wenig spielen ließ, konnte nur eine ganz gewöhnliche Reaktion von
ihm sein. In seiner Welt war es so, dass man mit den hochgestellten Damen so
reden musste. Ganz konnte er solche Gewohnheiten wohl nicht ausschalten, obwohl
er sich als gewöhnlicher Soldat ausgab.
Aber das interessierte Elrica alles nicht. Sie brauchte
Christopher – oder eher seine Verbindung zur Königin – um zu retten, was ihr am
wichtigsten war. Danach würden sie sich niemals wiedersehen.
Ich war so richtig hibbelig und aufgeregt, dass es hier mit Christopher und Elrica weitergeht. Und bin es offen gesagt immer noch.
AntwortenLöschenIch finde es so mutig, dass du diesen Schritt mit Elrica und ihrer schweren Verletzung und deren Folgen gegangen bist. Und es ist unglaublich, wie toll, du die Geschichte fortsetzt.
Ich hab auch ein bisschen Angst, was jetzt noch passiert. Ich will nicht, dass Elrica noch mehr verletzt wird (egal, ob physisch oder psychisch). Irgendwie hab ich auch Angst, um Christopher. Und generell jeden.
Ich bin so, so gespannt, was noch kommt.
Dieser Beitrag ist wieder einmal großartig geworden, Liebes! Weiter so!
Es ist auch relativ schwer, einem Charakter sowas anzutun und es nicht sofort wieder rückgängig zu machen. Dabei wäre "es war alles nur ein schlimmer Traum und eigentlich ist mit ihr alles gut" ein einfacher Ausweg dafür - aber leider auch nicht besonders realistisch. Ich neige dazu, meine Charaktere zu selten Folgen ihrer Taten erleben zu lassen, indem ich den leichten Weg wähle. Also wollte ich mir selbst beibringen, das endlich richtig zu machen.
LöschenIch habe auch ein wenig Angst um Elrica - erstaunlicherweise weniger um Chris, obwohl ich auch nicht weiß, was im weiteren Verlauf mit ihm geschehen wird.