Wenn man sich die Wolken so anschaute, konnte man mit etwas
Fantasie schon Gestalten in ihnen erkennen. Mal ein kleines Schäfchen, mal
einen Elefanten oder ein Pferd. Miki hatte dieses Spiel oft mit ihrer Familie
gespielt, als sie klein gewesen war. Es fühlte sich an, als wäre das Ewigkeiten
her, doch in genau diesem Moment hatte sie es zurück. Sie schaute auf ihren
Vater, der sich gerade angeregt mit Tyler unterhielt, dann zu ihrem Bruder, der
immer wieder fasziniert zu Amnes' Haarfarbe linste. Thea lag auf einer der
Decken, die sie zu diesem Picknick mitgenommen hatten, und sonnte sich voller
Wonne, immerhin waren sie eine ganze Weile in einer deutlich kälteren Region
von Traumland gewesen. Hier wirkte es im direkten Vergleich fast paradiesisch:
der Himmel und das nahe Meer waren strahlend blau, die Wiese saftig grün.
Nichts störte, nichts machte unangenehm auf sich aufmerksam. Für so einen
Moment vollkommener Glückseligkeit hatten sie eine lange Wanderung auf sich
genommen.
Und dann war da noch der Mann neben ihr, der ihre Hand so
sanft hielt. Miki schaute Danny an, der zum ersten Mal, seit sie ihn kannte,
wirklich ruhig aussah, beinahe zufrieden. Ein leichtes Lächeln umspielte seine
Mundwinkel, wodurch er ein wenig jünger wirkte. Sie lächelte zurück, denn so
hatte sie ihn schon immer sehen wollen.
„Du magst, was du vor dir hast, nicht wahr?“, fragte er
leise.
„Du nicht?“, war ihre einzige Antwort dazu. Es war doch
alles gerade so gut, daran konnte man überhaupt nichts auszusetzen haben. Nach
Wochen, in denen sie gezittert, gestritten und nichts erreicht hatten, war das
hier mehr als verdient.
Thea stand auf, fuhr sich durch ihr langes blondes Haar und
trottete zu Tyler rüber, dem sie sanft über die Schulter strich. Miki hatte
immer gemerkt, wie gut die beiden sich verstanden, aber sie hatte erst vor
kurzer Zeit bemerkt, dass sie sich ineinander verliebt hatten. Oder etwas in
der Art, denn mehr als ein gelegentliches Streicheln ließen sie niemals in der
Öffentlichkeit zu.
Miki wollte gerade etwas dazu sagen, als Dannys Finger über
ihren Handrücken strichen und sie sofort die Hitze in ihrem Gesicht spürte.
„Glaubst du nicht, dass es zu perfekt ist?“, fragte Danny.
Miki schaute ihn unschlüssig an, weil sie nicht ganz
verstand, was er damit meinen konnte. Sie konnte doch nicht hinterfragen, was
so gut war wie dieser Nachmittag, an dem sie ihre Liebsten bei sich hatte. Nun
gut, ihre Freundin Maren fehlte, die war immerhin nicht in Traumland und-
Moment. Miki wandte den Blick zu ihrer Familie und legte die
Stirn in Falten. Seit wann waren denn ihr Vater und Bruder hier?
„Was siehst du?“
„Ich“, sie stockte, „es ist nur, dass ich mich an etwas
nicht erinnern kann, mehr nicht.“
Danny seufzte. „Das kenne ich sehr gut. Aber du siehst aus,
als würde dir etwas Angst machen.“
„Nein, ich... es ist wirklich alles in bester Ordnung,
wirklich.“
Wann waren sie zu diesem Picknick aufgebrochen? Und in
welchem Teil von Traumland mochten sie sein? Miki versuchte sich zu erinnern,
aber sie stieß dabei auf eine mentale Blockade, an der sie sich nicht vorbei
schlängeln konnte. Verwirrt schaute sie wieder zu Thea und Tyler, die so
friedlich nebeneinander saßen, dann zu Amnes, dessen Lächeln es ihr warm ums
Herz werden ließ. Doch irgendetwas an diesem Bild war nicht richtig. Wenn sie
es doch nur greifen könnte!
„Wer ist außer mir noch hier?“, holte Danny sie aus diesen
Gedanken.
„Wieso?“
„Weil ich es nicht so sehen kann wie du, das ist alles.“
Sie schaute ihn lange fragend an, doch er ließ sich zu
keiner weiteren Erklärung hinreißen. „Was soll ich denn schon sehen? Wir sind
alle zusammen, das ist doch am wichtigsten.“
„Sind wir glücklich?“
„Natürlich.“
„Du weißt, dass das eine Lüge ist, oder?“
Sein sanftes lächeln rutschte von seinem Gesicht ab und ließ
ihn mit einer beinahe unbeteiligten Miene zurück, genau wie sie ihn sonst
kannte. Das passte überhaupt nicht an diesen Ort, an dem für einen Moment
wirklich alles gut war. Alle anderen lächelten doch auch, nur Danny nicht. Als
würde ihn etwas von ihren Freunden unterscheiden.
„Wenn es wirklich eine Lüge ist, dann muss es doch auch eine
Wahrheit geben“, dachte Miki laut nach. „Aber die erkenne ich nicht. Ich sehe
alles glasklar vor mir. Ich meine, schau doch nur dorthin zu Ty und Thea“, sie
deutete auf ihre Freunde, „sie sind so zufrieden.“
Danny folgte ihrem deutenden Finger mit dem Blick,
schüttelte jedoch den Kopf. „Du weißt doch, dass sie kaum noch miteinander
reden.“
Ein Bild flackerte durch ihren Kopf, auf dem Thea sich mit
Tyler stritt. Sie gingen auseinander, gekränkt, verletzt, schauten nicht mehr
zum anderen zurück. Das musste Tage her sein und deshalb hatten sie ihre
Differenzen beigelegt, so einfach war es. Nur sagte ihr etwas, dass es nicht
wirklich so einfach war.
„Aber... Amnes! Schau dir doch Amnes an! Er ist immer
fröhlich – und jetzt, wo es so warm ist, freut er sich noch ein wenig mehr!“
„Wie geht es seinem Arm?“
„Was soll damit...“ Er müsste gebrochen sein. Miki biss sich
auf die Unterlippe, als sie begann sich zu erinnern. Amnes war schwer verletzt
worden, er konnte sich nicht einmal im Bett aufrecht halten, dann sollte es
unmöglich sein, hier bei ihnen auf dieser Wiese zu sitzen.
„Du weißt es wieder“, stellte Danny fest.
„Aber... aber... was ist das? Ich kann es doch alles vor mir
sehen!“
„Fühlst du es denn auch? Kannst du es riechen und hören und
schmecken?“
Sie öffnete den Mund, um 'ja' zu sagen, aber in dem
Augenblick begriff sie, dass sie es nicht tat. Die Sonne strahlte zwar und Miki
trug nicht mehr als ein leichtes Sommerkleid, aber Gänsehaut breitete sich vor
Kälte auf ihren Armen aus. Ihre Familie, die gar nicht hier sein konnte, redete
ohne Unterlass mit ihren Freunden, doch sie konnte nichts von dem verstehen,
was sie sagten, sie konnte es ja nicht einmal hören.
„Du bist anders als die anderen“, murmelte Miki, „Du bist
wirklich hier. Oder?“ Panik schwang in ihrer Frage mit, weil sie nicht begriff,
was gerade vorging.
„Das bin ich.“
Die wenigen Worte beruhigten sie ein wenig, ließen sie tief
durchatmen. Dennoch blieb immer noch die merkwürdig perfekte Variante der
Wirklichkeit, die sie mit eigenen Augen vor sich sehen konnte. Eine Welt, die
sie sich unterbewusst so erträumte.
„Wieso?“
„Ich habe gesehen, dass dein Stein auf etwas reagiert hat.
Es war nichts Gutes, das war sofort klar. Also habe ich deine Hand genommen und
nicht losgelassen. Ich glaube, deshalb kannst du hören, was ich wirklich sage.“
Seine Finger glitten langsam zu ihrem Handgelenk, strichen
dann über ihren Unterarm. Miki wartete ab, was er machen würde und ob es etwas
an dieser Illusion änderte. Aber alles um sie herum blieb so perfekt, dass sie
es mit der Angst bekam. Wenn sie nun hier gefangen blieb, in dieser Version der
Welt, in ihrem eigenen kleinen Paradies – was dann?
„Du musst keine Angst haben“, Danny legte seine Hand um ihre
Schulter und zog sie an seinen Körper heran, „ich bleibe bei dir. Was auch
immer das ist, ich hole dich da raus.“
Am schlimmsten war, dass sie ihm auch noch glaubte. Es
machte keinen Sinn, immerhin wollte er sie mit seinen Worten nur beruhigen.
Aber wenn sie ihm keinen Glauben schenken wollte, dann blieb ihr nur noch
abzuwarten, was geschah. Oder zuzusehen, wie sie langsam verrückt wurde.
Erst einmal ist es natürlich schön mal wieder was von Miki zu lesen.
AntwortenLöschenDie Szene hast du wirklich gut beschrieben. Man kann sich gut in Miki hineinversetzen. Ich hab die Gänsehaut auf ihren Armen auch gespürt, als ihr klar wurde, dass das um sie herum nicht echt ist.
Ich bin gespannt, auf alle Beiträge, die noch kommen. <3
Manchmal muss Miki einfach sein. Meine alten Geschichten mögen zu einem Großteil auf Eis liegen, aber an viele erinnere ich mich noch. Und Miki hat mich in einer Zeit begleitet, die für mich einen Umbruch bedeutet hat. Deshalb ist sie mir immer im Gedächtnis geblieben, die Gute.
LöschenSchön, dass das so rüberkommt. Ich mag es scheinbar, meine Charaktere ein wenig in Angst und Schrecken zu versetzen.