Danny lag schon eine
Weile mit geöffneten Augen im Bett und lauschte den Vögeln, die munter ihre so
fremdartigen Lieder trällerten. Sie ergaben eine Harmonie, die einen zurück in
den Schlaf ziehen konnte, doch er blieb wach und konnte sehen, wie hinter den
Vorhängen die Sonne aufging. Neben ihm atmete Tyler ruhig und gleichmäßig. Wie
Danny ihn kannte, würde er noch eine Weile in seinen Träumen verharren.
Träumen in Traumland.
Es war ein
merkwürdiges Konzept, über das Danny nicht zu genau nachdenken wollte.
Er schwang sich aus
dem Bett und schaute hinunter zu seinem Zimmergenossen. Wie viel lieber er doch
bei Miki schlafen würde! Doch das ließen ihre Gastgeber nicht zu. Es gab zwei
Gästezimmer, also wurde brav nach Geschlechtern geteilt. Dabei wäre doch auch
Tyler viel lieber bei Thea als bei ihm, weil so jeder bei dem Begleiter wäre,
mit dem er am besten reden konnte. Den Anstand zu wahren schien jedoch wichtiger
als ihre Bedürfnisse.
Danny setzte sich
seine Brille auf und ging leise aus dem Raum hinaus, nur um hinter der Tür
direkt stehen zu bleiben. Amnes saß mit dem Rücken zu ihm auf dem Sofa und
massierte gerade die Muskeln in seiner Schulter, die wohl von der Nacht etwas
verspannt waren.
Danny beobachtete die
Bewegungen unter seiner dunklen Haut, ohne das altbekannte Gefühl ablegen zu
können, ihm in jeder Hinsicht unterlegen zu sein. Amnes war der Zuckerkönig,
ein angesehener Mann, der mit seinem natürlichen Charme erreichen konnte, was
anderen auf ewig verwehrt blieb. Seine Bewegungen waren immer kontrolliert und
anmutig wie bei einem Tänzer, wodurch Danny sich nur bewusster wurde, dass er
oft aussah, als wisse er mit seinen langen Armen und Beinen nicht umzugehen.
Dann waren da noch die Brille, die er brauchte, obwohl das in Traumland nicht
nötig sein sollte, und die Narbe auf seiner rechten Wange, deren Ursprung er so
wenig kannte wie seinen eigenen. Nein, er konnte eindeutig nicht mit Amnes
mithalten.
Danny zog die Tür
vorsichtig ins Schloss und schaute Amnes weiter zu. Miki vertraute dem
Zuckerkönig, auch wenn einiges, was er sagte, völlig verrückt erschien. Nun,
dies war Traumland, da war nichts zu verrückt, wenn man bedachte, dass
Kaninchen hier Herzöge sein konnten.
Er sah wie Amnes sich
zu ihm drehte und ihn sogleich freundlich anlächelte.
„Guten Morgen. Du
bist und bleibst ein Frühaufsteher.“
„Morgen“, gab Danny
vorsichtig zurück, weil er nicht wusste, was er darauf sagen sollte.
„Aber nicht gesprächiger
als tagsüber“, stichelte Amnes, als er aufstand und seinen Blick durch den Raum
wandern ließ. Was er auch suchte, er schien es nicht zu finden.
Danny zupfte in der
entstandenen Stille sein ausgewaschenes Shirt ein wenig zurecht, als könne das
noch etwas retten. Er verstand nicht, was dieser Smalltalk bewirken sollte, und
überlegte, ob es unhöflich wäre, nun einfach seinen Weg ins Badezimmer
fortzusetzen. Bevor er jedoch auch nur einen Fuß vor den anderen setzen konnte,
stand Amnes direkt vor ihm und schaute ihn prüfend an.
„Weißt du, jeder von
euch ist etwas Besonderes“, erklärte Amnes leise, „aber du bist sogar unter
deinen Freunden außergewöhnlich.“
Danny zog die Brauen
zusammen, weil er sich eigentlich sicher war, unter den vier menschlichen
Neuankömmlingen in Traumland der gewöhnlichste zu sein. Wie um diesen Gedanken
zu unterstützen, nahm Amnes ihm seine Brille ab und betrachtete sie einen
Augenblick interessiert. Dann klappte er sie zusammen hängte sie am Bügel an
seinem Hosenbund auf.
„Du brauchst sie
wirklich.“
„Ja.“
„Wie fühlt sich das
an?“
„Normal?“
Dass seine kurzen
Antworten Amnes frustrierten, erkannte Danny mehr daran, dass er für das
Gesicht verzog, als an allem anderen. Amnes fand aber schnell wieder auf die
Spur zurück.
„Natürlich ist es für
dich normal, aber wie sieht die Welt für dich ohne deine… Brille aus?“
Danny zögerte, weil
er es merkwürdig fand, dass Amnes nach dem richtigen Wort hatte suchen müssen.
Als wäre es nichts, was in seinem Sprachgebrauch vorkommen musste. Tat es
wahrscheinlich auch nicht. Außer ein oder zwei Monokeln an fürstlichen Nagern
war Danny hier noch nicht besonders viele Brillen untergekommen.
„Verschwommen. Also
nicht alles, aber weiter weg.“
„Bin ich wenigstens
scharf?“
Mund aufklappen. Mund
zuklappen. Danny biss sich auf die Unterlippe, während er nickte und versuchte,
nicht zu sehr über die Wortwahl und Amnes‘ fehlendes Oberteil nachzudenken.
„Entschuldige die
Fragerei, das ist nur so faszinierend für mich. Du solltest sie nicht
benötigen, solange du hier bist.“
Danny ging davon aus,
damit wäre nun alles vorbei und er würde seine Brille zurückbekommen, nach der
er schon schaute. Doch Amnes griff sein Kinn mit sanften Fingern und drehte
seinen Kopf zur Seite, wodurch der Blick auf seine Narbe frei wurde. Es wäre ganz
einfach, zu gehen, denn Amnes übte wenig Druck aus. Danny fühlte jedoch etwas
in sich erstarren. Es war nichts dabei, alle hatten die Narbe, diese verblasste
weiße Linie auf seiner Wange, schon oft genug gesehen. Nur sah Amnes die Narbe
nicht einfach an, er betrachtete sie mit zusammengezogenen Brauen und
aufeinandergepressten Lippen, als wäre sie ein Rätsel, das er nicht lösen
konnte.
Danny überlegte, ob
er etwas dazu sagen, oder einfach einen Schritt von Amnes weg machen sollte,
als dieser vorsichtig mit dem Daumen der freien Hand über die Narbe strich.
„Du weißt nicht,
woher du sie hast“, eine Feststellung, die kaum lauter als ein Flüstern war.
„Nein.“
„Vielleicht hast du
sie in eurer Welt gar nicht. Vielleicht bestrafst du dich damit selbst.“
Der Daumen rutschte
zu Dannys Unterlippe, doch es sah nicht so aus, als wäre das eine bewusste
Entscheidung, eher eine Nebenhandlung, während Amnes weiter auf die Narbe
schaute.
„Wofür solltest du
dich bestrafen wollen? Nein, du hast sie bestimmt auch in eurer Welt. Woher-“
In einer fließenden
Bewegung schob Danny Amnes‘ Arme zu den Seiten und trat dann einen Schritt nach
hinten. Amnes sah Danny erschrocken an und ließ diesen damit zum ersten Mal
erkennen, dass seine Augen nicht einfach braun waren, sondern einen Hauch rot
in sich trugen.
„Verzeih mir“,
hauchte Amnes, sodass Danny das Blut in den Adern gefror, „ich wollte dir nicht
zu nahekommen, aber du bist so außergewöhnlich-“
Das letzte Wort blieb
unausgesprochen und interessierte Danny nicht. Er zuckte mit den Schultern,
schnappte sich seine Brille und ging an Amnes vorbei zum Badezimmer.
„Alles gut“, log er,
als er hinter der Tür verschwand. Er schloss sie schnell ab und atmete tief
durch.
Besonders,
außergewöhnlich, faszinierend. Mit all diesen Worten würde er sich selbst nicht
beschreiben, doch Amnes waren sie ganz leicht über die Lippen gekommen. Danny
hielt sich die Wange.
Im Gegenteil zu Miki
war er nie recht davon überzeugt gewesen, dass Amnes so freundlich war, wie er
sich gab. Irgendetwas hatte ihn immer distanziert sein lassen, sogar noch ein
wenig distanzierter als anderen gegenüber. Und nun diese Übergriffigkeit, die
Berührungen. Das ging gegen alles, was Danny von sich selbst wusste. Er
brauchte Abstand, außer er war es, der ihn durchbrach. Selbst dann immer auf
eine Weise, die der andere abbrechen konnte. Wie oft hatte er schon Mikis Hände
gehalten? Ziemlich oft. Ihm würde es jedoch nicht einfallen, sie ohne
Vorwarnung im Gesicht zu berühren, außer es drehte sich um Kleinigkeiten wie
das Wegwischen von Krümeln.
Gerade seine Narbe
hatte Amnes' Aufmerksamkeit so sehr auf sich gezogen.
Danny setzte sich die
Brille wieder auf und ließ die Schultern kreisen, obwohl sie nicht verspannt
waren.
Es gab vieles, das er
nicht begriff. Warum sie hier waren. Warum er so schlecht darin war, mit
anderen zu reden. Warum nicht nur Miki, sondern auch Tyler ihr Vertrauen in
Amnes setzten, ohne ihn wirklich zu kennen. Ob er ihnen erzählen sollte, was
geschehen war? Doch es war nichts geschehen. Amnes hatte ihn nur berührt, ein
wenig länger als gewöhnlich war. Er hatte ihn dabei nicht so sehr gehalten,
dass er nicht schon vorher hätte ausweichen können. Eigentlich wäre es ein Leichtes
gewesen, sofort einen Strich unter die Sache zu ziehen und zu gehen.
Und jetzt sollte es
ein Leichtes sein, wieder hinaus zu gehen.
Danny warf vorher nur
einen prüfenden Blick in den Spiegel. Sein Haar sah zu wirr aus, seine Augen zu
verletzlich, sein Gesicht zu rot für seinen Geschmack. Er fühlte sich wie ein
Kind.
Seine Hand lag auf der Türklinke. Nur noch einmal
durchatmen, dann konnte er wieder hinausgehen.
Und als kleines Extra:
Es ist mir endlich gelungen, Gesichter zu den Schatzis zu finden.Ja, Mikis Haare sind zu dunkel. Ja, Dannys haare sind ein wenig zu hell und definitiv nicht rot genug. Aber alles passte, als ich die Herrschaften gesehen habe. Das genügt mir.
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