„Seid Ihr Euch wirklich sicher, dass wir hier nichts mehr
ändern sollen, Majestät?“
Ich schaute die Frau an, die damit beauftragt worden war,
die Räume meinen Wünschen entsprechend zu gestalten. Ihr Name war Marianne und
es passte zu ihr. Sie war klein, zart, besaß engelsgleiche Züge und mehr
Geduld, als man der Hälfte der Menschheit zutraute. In ihren Händen hielt sie
Block und Zettel, damit sie nichts vergaß, was sie mit mir besprechen musste. Sie
musste dafür Sorge tragen, dass der anstehende Besuch nicht zu einem Desaster
wurde. Aber die Rechnung war ohne meine Interventionen gemacht worden.
„Ich finde, alles ist genau, wie es sein soll.“
Ich ließ meine Hand über eine der weißen Lilien gleiten,
die in großen Vasen in allen Ecken standen. Mein Blick ruhte auf dem Spiegel,
durch den ich sehen konnte, wie Christopher hinter mir versuchte, nicht zu
grinsen. Es gelang ihm halbwegs.
„Majestät, ich muss erwähnen, dass die Franzosen-“
„Es nicht mögen, wenn Räume außerhalb ihres Königreichs
mit ihrer Nationalblume dekoriert werden?“ Ich zuckte nonchalant mit den
Schultern. „Das ist mir durchaus bewusst.“
Marianne holte tief Luft, als wolle sie mir noch etwas
dazu sagen, doch sie besann sich eines Besseren. Ich war ihre Königin und hatte
meine Wünsche soeben deutlich gemacht. Was sollte sie schon sagen?
„Wie wird Eure Garderobe morgen aussehen? Soll ich noch
etwas für Euch vorbereiten lassen?“, machte sie mit ihrer Liste weiter. Es
musste der letzte Punkt sein, immerhin waren wir das Menü bereits
durchgegangen, ebenso den Ablauf des Abends allgemein. Zuletzt pflegten wir
immer auf die Äußerlichkeiten einzugehen.
„Ich benötige nichts mehr, vielen Dank.“ Als Marianne
sich umdrehte, fiel mir noch etwas ein. „Obwohl, nein, ich möchte, dass der
Schmuck meiner Großmutter hervorgeholt wird. Den sie zu ihrer Verlobung
bekommen hat.“
„Majestät?“, Marianne klang alarmiert, „Der Schmuck
enthält Amethysten!“
„Er wird hervorragend zu meinem violetten Kleid passend.“
„Aber-“
„Sie können nun gehen, Miss Garfunkel, wir sind hier
fertig.“
„Jawohl, Majestät.“
Ich hörte ihre eiligen Schritte, die sie vielleicht
geradewegs zu Doktor Smith führten. Zu meinem Leibarzt verband sie ein enges
Verhältnis, das eines Tages zu einer Heirat führen könnte. Im Moment machte sie
sich sicher eher Gedanken über meinen Geisteszustand.
Ein weiterer Blick in den Spiegel verriet mir, dass
Christopher kaum noch an sich halten konnte, das Lachen nicht durchbrechen zu
lassen.
Ich schaute über die Schulter zu ihm. „Was hast du?“,
fragte ich unschuldig.
„Dass Majestät so trotzig sein können, ist dem Gesinde
neu.“
„Wenn ich möchte, kann ich noch viel trotziger sein.“
Er lachte auf und machte einige Schritte auf mich zu. Es
war schön, ihn nach seiner erfolglosen Reise zu Elrica wieder lachen zu hören.
„Diese Seite an dir ist erfrischend, wenn ich mir diesen Kommentar erlauben
darf.“
„Wahrscheinlich darfst du das nicht, aber ich habe gerade
nicht besonders viel Lust, mich an irgendein Protokoll zu halten.“ Schnell
griff ich nach seinem Arm, was mir einen überraschten, wenn auch belustigten
Blick einbrachte. „Würdest du mich in meine Räume geleiten? Es redet eh schon
jeder über uns, dann können wir dem etwas Zündstoff geben.“
Er nickte und trat mit mir den Weg durch die Gänge an.
„Deine Laune heute ist nicht die beste. Stört dich der
Besuch morgen wirklich so sehr?“
Stören war nicht das Wort, das ich benutzt hätte, aber er
lag nicht falsch. Da es jedoch offensichtlich war, schnaubte ich nur als
Antwort.
Christopher kommentierte das nicht, sondern führte mich
weiter die kurze Strecke zu meinem Schlafgemach. Vor der Tür blieb er stehen,
als warte er darauf, dass ich etwas tat. Verwirrt schaute ich zu ihm hinauf.
„Was ist?“
„Wir sind hier. Es gehört sich nicht-“
Ich rollte mit den Augen, öffnete die Tür und zog
Christopher mit mir hinein.
„- dass ich mit dir…. Sind dir die Gerüchte wirklich
egal? Weil du bockig bist?“
„Trotzig, das ist das Wort, das du weiterhin benutzen
solltest. Und, ja, ich bin trotzig. Die Franzosen erwarten, dass ich mein Bett
mit dir teile, also werden sie bei ihrem freundlichen Besuch morgen genau in
diesem Glauben gelassen.“
Der Humor wich aus Christophers Zügen, als er sich vor
mich stellte und vorsichtig meine Schultern griff.
„Du benimmst dich völlig irrational, das passt nicht zu
dir. Was ist los?“
Unbehaglich wand ich mich aus seiner Berührung, was ihn
dazu brachte, einen Schritt zurückzumachen. Statt ihm seine Fragen zu
beantworten, ging ich zu dem Kleid, das ich morgen Abend tragen würde. Ich
hatte eigentlich etwas in purpur haben wollen, jedoch eingesehen, dass das
keiner aktuellen Mode entsprach. Violett auch nicht, doch ich hatte einen
hochmodernen Schnitt gewählt, der gerade frisch aus der höheren Pariser
Gesellschaft zu uns herübergeschwappt war. Einzig das Korsett würde es dank
fehlender Träger oder Ärmel am richtigen Platz halten, der bedenklich weit
unten lag.
„Du hast noch nie etwas in der Art getragen“,
kommentierte Christopher trocken von seinem Platz unweit der Tür.
„Das ist ja auch der Sinn hinter dieser Wahl.“
Ungeschickt schob ich die Ärmel meines deutlich
schlichteren Kleides ein ganzes Stück hinunter, sodass meine Schultern
schließlich frei waren und der Ausschnitt wesentlich tiefer.
„Ich bin ihnen zu prüde. Meine Kleidung zu konservativ.“
Langsam ging ich zu Christopher zurück, hielt dabei meine Haare an meinem
Hinterkopf hoch. „Sie finden mich nicht stilsicher und auch nicht hübsch genug,
um die Königin zu sein. Zu blass, zu kränklich. Dass ich unter den Ehrenwerten
Brüdern aufgewachsen bin, heißt gewiss, dass eine große Zahl von ihnen ihr
Keuschheitsgelübde mit mir gebrochen hat. Meinen persönlichen Wachmann habe ich
nach Aussehen statt nach Fähigkeiten gewählt, obwohl, nein, einige Fähigkeiten
waren wohl ausschlaggebend.“
Sein Blick ging ruhig über mein ungewohntes
Erscheinungsbild. Christopher kannte mich im Morgenrock, mit ungemachten
Haaren, doch niemals mit Kleidung die viel mehr als meine Schlüsselbeine
präsentierte.
„Und deshalb möchtest du dich jetzt verstellen? Um sie
zufriedenzustellen?“
Es war nicht nur das. Die Farben waren eine Provokation,
ebenso die Blumen und einige andere Details, die Marianne aus irgendeinem Grund
eben entwischt waren. Oder sie waren das kleinere Übel im Vergleich zum größten
Fauxpas: wenn das französische Königshaus zu Besuch kam, waren ihm alle
Schattierungen von purpur bis violett vorbehalten. Es war ihre Farbe, die Lilie
ihre Blume. Ich ging ein Risiko ein, indem ich mich so offensichtlich
dagegenstellte. Man konnte es als Naivität sehen, als Unwissenheit oder
Desinteresse. Man konnte glauben, meine Berater ließen mich im Stich oder ich
hörte nicht auf sie. Für den Fall hatte ich bereits eine Erklärung
zurechtgelegt, die ich meinen geschätzten Gästen gleich zu Anfang geben würde.
Wer mich seit meiner Krönung ständig provozierte, musste nicht damit rechnen,
dass ich alle ihre Wünsche für einen Besuch erfüllte. Ich hatte das Menü ihren
Ansprüchen anpassen lassen, ebenso die Einrichtung ihrer Zimmer. Mein
Kleidungsstil und meine Vorliebe für Lilien würde ich nicht mehr ändern.
„Zum Teil. Ich möchte auch meinen Landsleuten zeigen,
dass ich nicht nur das Festungskind bin.“
Christopher griff nach der Hand, die meine Haare hielt,
doch ich wich ihm aus. Er schmunzelte, während er mir hinterherkam.
„Du bist viel mehr als nur das Festungskind. Aber ich
denke, du ziehst dich so an“, er lenkte mich mit einer Geste ab, sodass es ihm
doch noch gelang, meine Hand zu greifen, „damit Alec es erfährt.“
Mein Herz setzte bei der Erwähnung seines Bruders einen
Schlag aus. Es war schon eine ganze Weile her, seit ich Alec zuletzt gesehen
oder von ihm gehört hatte. Er war noch am Leben, soviel hatte ich in Erfahrung
gebracht, denn er arbeitete immer noch bei der Royal Mail, die mir unterstand.
Es mochte hunderte Gründe geben, warum er nicht mehr zu mir kam oder mir
schrieb. Nach allem, was ich wusste, konnte es sein, dass er mich nicht mehr in
seinem Leben haben wollte.
Ich schaute Christopher an und merkte erst in dem Moment,
wie nahe wir einander gerade waren. Bei seiner Miene schien mir, als sei er
sich dem auch erst bewusst geworden. Keiner von uns bewegte sich.
„Wie unangemessen ist diese Begegnung bisher?“, fragte er
leise, während er langsam weiter nach unten schaute.
„Von denen mit deinem Bruder abgesehen, ist es die
unangemessenste Begegnung meiner Regentschaft.“
Ein kleines Lächeln huschte über seine Züge, dann ließ er
meine Hand los und machte einen Schritt zurück. Ich ging hinterher. Verblüfft
hob er die Brauen, blieb jedoch stehen und ließ erneut seinen Blick über mich
wandern.
Er war der verkehrte Pierce. Doch es gefiel mir, in
seinem Gesicht zu lesen, dass es ihm schwerfiel, jetzt das einzig Richtige zu
tun und den Raum zu verlassen. Und mir würde es schwerfallen, ihn gehen zu
lassen.
„Was machen wir hier?“ Es war kaum mehr als ein Flüstern
von ihm.
„Avancen?“, schlug ich vor.
„Das ist nicht richtig…“
Bevor ich antworten konnte, zog er mich an seinen Körper um
mich zu küssen. Nur kurz, ehe er sich zurückzog und mich fragend ansah. Ich
hielt die Luft an und nickte, während ich mich in seine Richtung streckte.
Christopher zögerte nur noch einen Augenblick, dann legte er seine Lippen wieder
auf meine. Dieser Kuss war nicht so süß oder so leicht wie die meisten Küsse
mit Alec, sondern viel drängender, verlangender.
Wir gingen zu meinem Bett, ließen uns darauf fallen.
Meine Finger fuhren über seine breiten Schultern, er begann meinen Hals zu
küssen.
Der verkehrte Pierce.
Wir hatten so oft gescherzt, was über uns geredet wurde.
Wir waren uns schon viel zu lang viel zu nah. Irgendwie hatte ich es kommen
sehen, spätestens seit dieser einen Begegnung mit ihm, in der ich ihn zu Elrica
auf das Land geschickt hatte. Zwischen uns war etwas, das uns eine Weile am
Rand einer Affäre hatte taumeln lassen. Es war nur nicht-
„Angelique?“
Christophers fragender Ton holte mich aus meiner kurzen
Träumerei.
„Was?“, fragte ich unsicher.
„Machst du das hier auch aus Trotz?“
„Huh?“, kam wenig eloquent aus meinem Mund.
„Nun, du hast vorhin selbst gesagt“, er zögerte, während
er seinen Körper in eine bequemere Position brachte. Auf einen Ellenbogen
gestützt lag er nun neben mir, statt sich über mir zu halten. „Die Franzosen“,
begann er erneut, „sie sollen denken zwischen uns wäre mehr als erlaubt ist.“
„Das ist nicht der Grund.“
„Was dann? Du liebst mich nicht.“
„Du mich doch auch nicht.“
Ich tätschelte seinen Arm, wie ich es zuvor nur bei
seinem Bruder getan hatte. Weil es zum Teil eben doch Trotz war, der mich
handeln ließ. Ich seufzte, weil ich es irgendwie geschafft hatte, den Moment zu
zerstören. Die Stimmung war noch nicht komplett gekippt, immerhin fühlte ich
Christophers Finger an meinem Schlüsselbein, sodass es mir wohlig warm den
Rücken hinunterlief. Nur das Feuer von eben war erloschen.
„Kein Trotz?“, fragte er erneut.
„Trost. Ich will nur jemanden, der mich hält, und ich glaube,
dir geht es ähnlich. Wegen Elrica.“
Der Schmerz in seinen Augen ging mir ans Herz. Er strich
mit zwei Fingern sanft über die Haut in meiner Halsbeuge, dann über meine
Wange.
„Mache ich jetzt meinem kleinen Bruder Konkurrenz? Weil du
und ich Trost brauchen können?“
„Willst du lieber gehen?“
Sein Blick streifte durch mein Zimmer. „Nein.“
Einmal eine Kleinigkeit zum Thema Alec: so stelle ich ihn mir vor. Max Irons mit Anfang bis Mitte 20. Das ist mein perfekter Alec und, ja, er würde in den Palast passen, *swoons*
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