Es ist nur 10,000 Jahre her, dass ich hier gepostet habe.
10,000 Jahre, in denen die Welt auf die eine oder andere Art und Weise angefangen hat zu brennen und mir jedwede Kreativität zu entziehen. Wie soll man noch kreativ sein, wenn man in einer Pandemie gefangen ist, die einem Endzeitroman entsprungen sein könnte? Für mich hat sich das als schwierig herausgestellt und so habe ich andere Beschäftigung (sprich: Ablenkung) gefunden.
ABER ich habe wenigstens einen weiteren Beitrag zur Challenge fertiggestellt, den ich wohl letztes Jahr angefangen habe. Was lange währt und so.
Es hat gut getan, mal wieder über Elrica und Christopher zu schreiben.
Das Abendessen war noch geringer ausgefallen als üblich
und nicht einmal richtig gewürzt, weil ihnen das Salz ausgegangen war. Bernie
stocherte an seinen Möhren herum, Mutter hustete nicht zum ersten Mal in den
vergangenen Tagen, was nicht besser wurde, solange es draußen jeden Tag
regnete. Bald würden sie das Haus und den Hof verlassen müssen. Bis auf wenige
Hühner und ihren alten Gaul hatte Elrica alles so gut es ging zu Geld gemacht
und gebetet – zum ersten Mal in ihrem Leben ernsthaft, obwohl sie sich nicht
als gläubig bezeichnen würde. Sie hatte schon vor einigen Wochen gebetet, dass
sie es schaffen würde, ihre Familie durchzubringen, bis die Ernte begann.
Dann hatte ein Sturm ihre verbliebenen Felder verwüstet.
Den Nachbarn ging es nicht viel besser, weshalb schon
einige Familien überlegt hatten, ob sie nicht in die Stadt ziehen sollten. Auch
Rowan glaubte dort sein Glück finden zu können und redete immer wieder auf
Elrica ein, mit ihm dorthin zu gehen. Doch sie wollte das nicht. Sie konnte den
Hof nicht verlassen, solange es noch die Möglichkeit gab, dass sich etwas
änderte.
In den Momenten, in denen sie ganz ehrlich zu sich war,
gestand sie sich ein, dass es diese Möglichkeit schon seit ihrer Verwundung
nicht mehr gab.
„Ich habe keinen Hunger“, maulte Bernie, wie es nur ein
Heranwachsender konnte.
„Du brauchst aber das Essen, du hattest den ganzen Tag
nichts“, sagte Mutter ruhig.
Elrica sah ihren Bruder ernst an, sodass dieser einlenkte
und widerwillig begann sein Gemüse in den Mund zu schieben und zu kauen. Seine
Wangen waren viel zu hohl für einen Jungen in seinem Alter, die Schatten unter
seinen Augen zu dunkel. Mutter sah nicht besser aus und Elrica konnte sich
vorstellen, dass sie selbst es auch nicht tat. Ihre Hosen hielt sie mit
Hosenträgern in Position, da sie ohne inzwischen bis auf den Boden rutschen
würden, während ihre Hemden an allen Stellen schlackerten.
Vielleicht, dachte sie bitter, muss ich mir gar keine
Gedanken darum machen, wohin wir gehen, weil wir alle vorher entkräftet
sterben.
Lustlos kaute sie auf ihrem Gemüse herum. Wie gerne würde
sie eines der Hühner schlachten, um ein wenig Fleisch zu kriegen. Aber dann
müssten sie auf Eier verzichten, die sie inzwischen zu jeder Mahlzeit aßen. Mal
gekocht, mal gebraten, oder wie jetzt als Rührei. Eier. Jeden Tag. Wenn erst
das letzte Mehl verbraucht war und sie kein Brot mehr herstellen konnten, war
alles vorbei.
„Du hättest mehr Vorräte anlegen müssen“, sagte Bernie
unvermittelt. „Früher hat Mama so viel eingelegt, damit sind wir über zwei
Winter gekommen. Und jetzt haben wir nichts mehr!“
Für wenige Sekunden wurde in Elricas Kopf alles blank.
Sie versuchte sich auf das Geräusch ihres eigenen Atems zu konzentrieren oder
auf das Prasseln des Regens, das ein letztes Echo des Sturms sein konnte.
„Ich habe mein Bestes versucht“, brachte sie zwischen
zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Du hast dabei ziemlich versagt!“
Noch ehe Mutter etwas machen konnte, ehe Bernie richtig
sah, was geschah, hatte Elrica ihm über den kleinen Tisch eine schallende
Ohrfeige verpasst. Sie funkelte ihren Bruder wütend an und merkte erst, dass
sie aufgestanden war, als ihr Stumpf schmerzte.
„Glaubst du, das hier ist, was ich wollte? Irgendetwas
davon?“, fuhr sie Bernie an, der sie mit großen Augen anschaute. „Ich wollte
einfach nur überleben! Ich wollte, dass du zur Schule gehen kannst und von hier
wegkommst! Ich war selbst noch ein Kind, als ich begonnen hab, hier alles zu
übernehmen!“
Und sie hatte versagt.
Bevor noch mehr böse Worte fallen konnten, wandte sie
sich vom Tisch ab und verließ das Haus. Die Tür fiel laut in die Zarge, doch
der Klang wurde vom Regen gedämpft. Elrica wollte weinen, sie wollte schreien. Aber
sie sah jemanden vor sich stehen, vor dem sie sich das nicht erlauben durfte.
„Was suchst du denn hier?“ Ihre Frage klang nicht
aggressiv, sondern eher müde.
Christopher Pierce schaute sie mit unbewegter Miene an,
als wäre es nicht ungewöhnlich ihn hier anzutreffen. Sein Pferd hielt er an den
Zügeln.
„Deine Mutter hat mir geschrieben.“
Elrica ballte ihre Hände zu Fäusten, weil sie von ihrer
Mutter so hintergangen worden war. Doch sie schluckte und ließ ihre Hände
lieber locker zu ihren Seiten hinunter hängen.
„Was hat sie denn geschrieben?“
Er zuckte nonchalant mit den Schultern, ehe er sich eine
nasse Strähne aus der Stirn wischte, die sofort wieder ihre alte Position
einnahm. „Dass sie die Hilfe Ihrer Majestät gerne in Anspruch nehmen würde.“
„Würde sie das?“
„Sie hat mir nicht geschrieben, wieso genau sie es
möchte. Aber ihre Worte waren schon eindringlich. Deshalb habe ich Ihre
Majestät gebeten, erneut nach euch sehen zu dürfen.“
Das konnte doch nur ein abgekartetes Spiel sein, das
jemand mit ihr trieb. Es sollte ihre Entscheidung sein, Angelique darum zu
bitten, ihnen irgendwie unter die Arme zu greifen. Nicht, dass Elrica das
jemals tun würde. Es gab wenig, das ihr ferner lag, als sich in diesen Zeiten auf
Ihre Majestät zu verlassen.
Auf Christopher hingegen schon eher, wie sie sich kaum
eingestehen wollte.
„Dann richte Ihrer Majestät aus, dass hier alles in
Ordnung ist. Wir kommen auch ohne Sie-“ Elrica hielt inne, denn sie erwartete
einmal mehr von Christopher unterbrochen zu werden. Doch er schaute sie nur an,
als wolle er wirklich hören, was sie zu sagen hatte. Sie öffnete den Mund.
Schloss ihn wieder. Wandte dann den Blick von Christoper ab.
Wie konnte sie ihm noch sagen, es sei alles gut, wenn er
sich mit seinen eigenen Augen vom Gegenteil überzeugen konnte? Selbst im
schummrigen Licht des Abends und durch den Regen hindurch musste er erkennen,
wie es ihr ging, abgemagert wie sie inzwischen war. Es war nur ihrem Starrsinn
zuzuschreiben, dass sie noch nicht während der Arbeit umgekippt war. Doch
dieser Moment würde sehr bald kommen.
„Ich“, sagte Elrica leise und sah Christopher einen
Schritt in ihre Richtung machen, ehe sie lauter weitersprach „ich kann dir nur
sagen, dass hier nichts in Ordnung ist.“
„Dann lass mich dir helfen.“
Sie schaute hinauf in seine Augen und schüttelte kaum
merklich mit dem Kopf. „Hilf nicht mir. Hilf meiner Familie.“ Sie zögerte,
atmete tief durch. „Bitte.“
Überrascht hob er die Brauen. „Sie werden dich hier nicht
zurücklassen. Dafür lieben sie dich zu sehr.“
Hinter ihm tänzelte sein Pferd unruhig hin und her,
während der Regen noch ein wenig stärker wurde. Elrica spürte die Tropfen auf
ihre Haut prasseln, die Kälte in ihre Knochen übergehen. Ihr Stumpf meldete
sich mit einem durchdringenden Schmerz, wie er es bei extremen Temperaturen zu
tun pflegte.
„Ich trage die Verantwortung für ihr Unglück.“ So schwer
es auch war, sich das selbst einzugestehen. Aber hier im Dunkeln, im Regen
konnte sie es vor sich und Christopher zugeben. „Ohne mich wären sie viel besser
dran gewesen.“
Er wischte sich erneut Wasser vom Gesicht, was wenig
brachte.
„Möchtest du nicht sie entscheiden lassen?“
„Aber-“
„Wenn es deine vermeintlich falschen Entscheidungen
waren, die euch Unglück gebracht haben, dann ist es doch wohl nur recht, nun
deine Familie entscheiden zu lassen. Findest du nicht?“
Wie aus Gewohnheit öffneten sich ihre Lippen in stillem
Protest, doch sie sah die Logik in seinen Worten. Also schloss sie den Mund
wieder und rieb sich über die ausgekühlten Arme.
„Ich selbst kann euch keine Hilfe gewähren, so gerne ich
es auch möchte“, fuhr Christopher fort, „dafür müsste ich in den Schoß meiner
Familie zurückkehren und einiges erklären, was ich nicht erklären kann. Es
bleibt mir also nur, euch alle zusammen nach London zu geleiten und dort zu
Ihrer Majestät zu bringen. Sie hat angedeutet, dass sie einen Vorschlag hat.“
Eine Weile standen sie nur da, während Elrica die
Information in sich aufnahm. Sie würde mit Angelique reden müssen, sich ihr
ausliefern. Natürlich war sie ihr dankbar, denn ohne die Königin würde sie
nicht mehr leben. Dennoch widerstrebte es ihr, sich dieser Frau auszuliefern.
„Ich werde alles tun, wenn es meiner Familie hilft. Nur rede
bitte nicht so förmlich mit mir, das hast du noch nie gemacht.“ Sie hob den
Blick zu seinen Augen, in denen sie nichts von seinen Emotionen lesen konnte.
Das konnte am Regen liegen, der ihr die Sicht vernebelte, am Schummerlicht.
Oder daran, dass er eine regungslose Maske aufgesetzt hatte.
Langsam bewegte Elrica ihre Hand vor, musste drei
Schritte gehen, um Christophers Arm berühren zu können. Ein Schmerz zog durch
ihren Stumpf, der sie fast ins Taumeln brachte, doch sie überspielte das ganz
passabel.
„Warum tut sie das überhaupt, Chris? So nennt deine
Familie dich doch, oder?“
Er betrachtete ihre Hand auf seinem Arm, als wäre es etwas,
das er noch nie gesehen hatte. Wenn sie recht darüber nachdachte, dann war es
auch so.
„Sie würde es, wenn ich noch Kontakt zu ihr hätte.“ Er
verzog das Gesicht wie bei einer qualvollen Erinnerung. „Und was Ihre Majestät
angeht, tut sie es meinetwegen. Ihr liegt etwas an mir und das bringt sie dazu,
für euer Wohl zu sorgen.“
Gerade wollte Elrica fragen, wie er das meinte, als sich hinter
ihr die Tür öffnete und Mutter heraustrat.
„Meine Güte, ihr beide seid durchnässt bis auf die
Knochen! Kommt hinein! Wärmt euch auf! Ich kümmere mich um Ihr Pferd, Mister
Pierce.“
Er nickte mit einem sanften Lächeln und reichte Mutter
die Zügel, wobei Elricas Hand von seinem Arm rutschte.
Wortlos ging sie in das Haus und hörte drinnen, dass er
ihr gefolgt war. Bernie saß noch am Tisch, die Wange gerötet, und schrieb mit
einem viel zu kurzen Bleistift auf einem Blatt Papier. Hausaufgaben, wenn
Elrica das richtig sah. Er schaute nicht einmal zu ihnen auf, ob nun aus Trotz
oder Desinteresse.
„Wird er weiter die Schule besuchen können?“, fragte sie
leise.
„Ich denke, Ihre Majestät wird das zu regeln wissen“,
antwortete Christopher, der darauf ihren Bruder freundlich grüßte und somit
doch noch seine Aufmerksamkeit erregte.
Angelique war ihre letzte Chance – und Elrica wollte es akzeptieren, so sehr sich ihr Kopf auch weigerte.
Oooooooooh! Ich bin so happy! Hab mir das extra fürs Wochenende aufgehoben, als kleine Belohnung!
AntwortenLöschenWie schön, dass es weiter geht!
Du hast die Stimmung wieder so gut eingefangen! Besonders, die Anspannung zwischen Elrica und ihrer Familie, als Bernie sie mit diesen Vorwürfen konfrontiert hat! Aber auch die Szene zwischen Elrica und Christopher... einfach wunderbar!
Ich verstehe, wie es dir ergeht. Aber falls die die Muse nochmal küsst... ich freue mich, wenn was neues von dir kommt. ♥