Ihr 18. Geburtstag war gekommen und ereignislos
vergangen, nur ein weiterer bitterkalter Septembertag in einem Jahr, das sich
nicht mit besonders viel Wärme rühmen konnte. Das war eine Woche her.
Ludwig hatte verreisen müssen, um an verschiedenen
Konferenzen teilzunehmen, danach hatte ein anhaltender verfrühter Herbststurm
seine Rückreise verhindert. Die ganze Zeit war Casey nicht erreichbar gewesen. Sie
ging weder ans Handy, wenn er anrief, noch las sie seine Nachrichten, die er
ihr auf verschiedenen Kanälen zukommen ließ.
Dennoch saß Ludwig in seinem Büro statt nach Reinbek zu
fahren und das persönliche Gespräch mit ihr zu suchen. Er kam sich ja selbst
schon zu aufdringlich vor. Außerdem erledigte sich seine Arbeit nicht von
selbst, weshalb auf jedem seiner Tablets gerade mehrere Apps geöffnet waren,
die in unterschiedlichen Farben Informationen nach ihrer Wichtigkeit markiert
anzeigten. Rot war dabei den besonders dringenden Informationen zugeordnet und
zu seinem großen Unmut die mit Abstand häufigste Farbe. Zahlungen mussten von
ihm bewilligt oder an die nächste Instanz weitergeleitet werden. Ein
Mitarbeiter fiel über Monate aus und musste ersetzt werden.
Es klopfte an der Tür.
Wie sollte Ludwig nur genügend Sparpotential auftun, um
seine Vorgesetzten zufrieden zu stellen?
Ein weiteres Klopfen ertönte, diesmal dringlicher.
„Herein!“, sagte Ludwig für seinen eigenen Geschmack zu
barsch.
Ein Mann Anfang 30 trat ein, dessen Lächeln dazu in der
Lage sein könnte, Gewitterwolken zu vertreiben, so sehr strahlte es. Gabriel
war erst seit einem guten Vierteljahr Ludwigs Assistent und Mädchen für alles –
eine Stelle, für die auf mysteriöse Weise finanzielle Mittel zur Verfügung
gestellt werden konnten.
„Miss Goldorf ist hier.“
Ludwig schaute Gabriel verdattert an, dann wandte er den
Blick zur Tür. Sein Körper verzehrte sich nach diesem Gespräch, nach dem
Wiedersehen. Das vergangene halbe Jahr war hart gewesen, weil er zu viel Arbeit
auf sich geladen hatte, ohne Caseys Gesellschaft als Zuflucht für seinen
geschundenen Geist zuzulassen. Und jetzt war sie tatsächlich gekommen, obwohl
sie ihn doch seit einer Woche ignorierte.
„Sie kann reinkommen.“
Gabriel nickte und ging wieder hinaus. Auf einem der
Tablets wurde gerade eine tiefrote Kennzahl angezeigt, die wahrscheinlich
besser gestern als heute Beachtung finden sollte. Sie konnte warten.
Casey kam in das Büro und brach damit den Bann der Zahlen
vollständig. Noch ehe die Tür richtig
geschlossen war, stand Ludwig schon auf, ein Lächeln nicht verbergend.
„Du bist hier“, sagte er freudig.
„Ich bin hier.“
„Wie geht es dir?“
Sie zuckte mit den Schultern. Ihr Gesicht wirkte
nüchtern, fast ohne jede Emotion. So kannte Ludwig sie sonst nicht, weshalb ihm
mulmig wurde.
„Ich wollte mit dir über meinen nächsten Urlaub reden.
Den muss ich verschieben, also vorziehen, um genau zu sein, weil ich mich mit
einer Art Hausarbeit auseinandersetzen muss, die den Großteil meiner
Abschlussnote in dem Fach ausmacht.“
Das letzte Schuljahr. Ludwig schluckte trocken, als er sich
dadurch ins Bewusstsein rief, wie jung Casey wirklich war. Nur wenige Jahre
älter als-
„Okay, das geht schon klar, du musst mir die genauen
Daten nur mailen“, er machte eine Pause, in der sie seufzte, „Hast du sonst
noch etwas auf dem Herzen?“
„Nein. Was sollte ich schon wollen.“
Eine Aussage, keine Frage. Nicht einmal eine rhetorische.
Ludwig ging um seinen Schreibtisch herum, wobei sie ihn genau beobachtete, als
wäre er ein Raubtier. Ihm wurde noch unwohler.
„Du reagierst nicht auf meine Anrufe.“
„Ich habe viel zu tun.“
„Bist du dir nicht mehr sicher wegen uns? Wenn du mich
nicht mehr… willst, kannst du mir das ruhig sagen, ich reiße dir schon nicht
den Kopf ab.“
Die großen grauen Augen auf ihn gerichtet, wand sie sich
unbehaglich. Seine Wortwahl war nicht die geschickteste gewesen, das musste er
zugeben.
„Ich hatte genug Zeit zum Nachdenken und, na ja, ich war
kindisch. Was ich gesagt habe, war kindisch.“
Er blieb ganz still stehen, obwohl er sie in die Arme
ziehen wollte. Aber das konnte er nicht machen, wenn sie sich so unsicher
zeigte. Dabei war sie doch vor einigen Monaten noch so sicher gewesen, wie sie
ihre gemeinsame Zukunft sah, wenn sie erst einmal 18 war.
„Ich habe überlegt, was ich machen soll“, fuhr sie fort.
„Und?“
„Ich kann nicht nur an das denken, was ich möchte. Was
die anderen sagen würden, ist viel zu wichtig für deine Karriere. Allein deine
Chefs... wenn die hören, dass du mit einer Mitarbeiterin liiert bist, halten
sie dich für unprofessionell. Und wenn sie dann auch noch erfahren, dass ich
gerade erst volljährig geworden bin, kommen noch ganz andere Boshaftigkeiten
zum Vorschein. Du bist deinen Ruf schneller los, als ich aus der Schule raus bin.
Es geht einfach nicht.“
Ludwig hielt erwartungsvoll den Atem an. Die Bedenken,
die ihn zu dieser halbjährigen Pause gebracht hatten, nun aus ihrem Mund gehört
zu haben, tat weh. Der Traum von gemeinsamen Momenten, in denen sie etwas
anderes waren als gute Freunde, war wohl ausgeträumt.
„Es ist besser, wenn ich jetzt gehe“, sagte sie, während
sie sich zur Tür drehte.
Aus einem Impuls heraus ging er zu ihr und fasste sanft
an ihre Schulter, was ihre Bewegung stoppte.
„Danke“, sagte er mit einem wehmütigen Lächeln, „das
macht es nicht gerade leichter, aber ich werde es bestimmt besser ertragen,
nicht mit dir zusammen zu sein, weil ich jetzt deine Gründe kenne.“
Casey ließ kurz den Kopf hängen, ehe sie sich zu Ludwig
umdrehte. In ihren Augen standen Tränen, die ihm sagten, wie schwer ihr diese
Entscheidung wirklich gefallen war. Er wollte sie mehr denn je in die Arme
schließen und nicht mehr loslassen.
„Ich weiß, es ist das Richtige für dich…“
Der Satz hing in der Luft und klang, als hätte noch mehr
folgen sollen. Casey biss sich auf die Unterlippe und schaute zu Boden. Diese
Entscheidung tat ihr weh, da half es ihr wenig, dass auch Ludwig diesen Schmerz
fühlte.
Vorsichtig strich er über ihre Wange und konnte im ersten
Moment nur dabei zusehen, wie sie sich an seinem halbgestreckten Arm vorbei
bewegte und sich gegen seine Brust drückte, wo sie den Tränen freien Lauf ließ.
Die Umarmung kam wie von selbst.
Eines Tages, so hoffte er, würden sie zusammen sein. Doch
jetzt mussten sie erst einmal ihre Wunden lecken, ehe sie Argumente finden
konnten, die diese Entscheidung umkehrten. So wie Casey sich in die Berührung
schmiegte, keimte eine kleine Hoffnung in ihm auf, dass sie beide nicht allzu
lang auf diesen Tag warten mussten, an dem sie endlich doch noch ein Paar wurden.
Arme Casey, armer Ludwig ;_; Aber so, so wunerschön geschrieben.
AntwortenLöschenIch mag die Geschichte der beiden sehr.
Da ist sie nun endlich 18 und es wird doch nichts mit den beiden. Ich kann verstehen, wie die beiden sich fühlen müssen ♥
;___; Sie tun mir immer so leid, weil einfach nichts läuft. Nicht wirklich wegen äußerer Einflüsse, sondern weil sie sich ihre Beziehung schlecht reden. Immerhin KÖNNTE es sein, dass sich jemand daran stört.
Löschen<3 <3 <3