Zu erkennen, ob Tag oder Nacht war, fiel in Bamsa schwer.
Das Licht der Sonne drang selbst in ihrem Zenit nur schemenhaft hindurch,
sodass die Lampen tagein, tagaus dir einzigen Lichtquellen waren. Es handelte
sich nur nicht um Lampen, wie Miki sie gewohnt war. Keine glühenden Drähte,
keine Leuchtstoffe. Stattdessen befanden sich in sämtlichen Laternen sogenannte
Leuchtkugeln, die mithilfe von Magie Licht erzeugten. Auch in der Laterne, die
Miki mit sich trug, befand sich eine, deren Licht fliederfarben wirkte. Das
kam, so Trevor, der sie in der Stadt empfangen hatte, weil die Leuchtkugel auf
Miki reagierte.
Ihre Finger spielten in ihrer Tasche mit dem kleinen
Stein, den sie vor einiger Zeit gefunden hatte. Amnes hatte ihr schon damals
gesagt, es sei ganz natürlich, dass die Magie in Traumland sich in Form von
Farben zeigte, wenn sie eine mächtige Person fand. In welcher Weise sie selbst
mächtig sein sollte, konnte Miki sich noch immer nicht recht ausmalen.
Sie zog den kleinen Stein aus ihrer Tasche hinaus und
betrachtete seine glatte Oberfläche einen Augenblick. Es war ihr nie gelungen,
einen Edelstein genau zu bestimmen, und diesmal war das auch nicht nötig.
Dieser Stein, der beinahe wie eine fliederfarbene Träne aussah, der jemand eine
kleine Metallkrone aufgesetzt hatte, war nicht edel, sondern magisch. Niemand
außer Miki konnte ihn berühren, ohne sich daran zu verbrennen.
Um Traumland vor dem Verfall zu retten, fehlten ihr und
ihren Begleitern nur noch zwei Steine, die sie dann schnellstmöglich zurück
nach Somphyny bringen mussten. Amnes wusste, was sie dort dann mit ihnen machen
mussten.
In Bamsa, der Unterwasserstadt, die Miki noch vor wenigen
Tage so unmöglich erschienen war, musste sich ein weiterer Stein befinden.
Bisher hatten sie ihn jedoch nicht gefunden, obwohl sie jeden Winkel durchkämmt
hatten. Miki schaute vom Stadtrand aus zu der Kuppel, die der Stadt als
Barriere gegen eindringendes Wasser diente. Wenn der Stein nicht innerhalb der
Kuppel war, konnte er sich ja außerhalb befinden.
Sie schaute in die Dunkelheit des Wassers hinaus, wo sie
nur schemenhaft Fische an ihrer Bewegung erahnen konnte. Vorsichtig streckte
Miki ihren Arm aus und machte die wenigen letzten Schritte zur Kuppel, damit
sie diese berühren konnte. Ihre Hand stieß durch eine gelartige Substanz, um
dahinter direkt auf das eisig kalte Wasser zu stoßen. Der Stein in ihrer Hand reagierte
sofort. Licht strahlte von ihm zwischen ihren Fingern hindurch und er wurde so
warm, dass sie ihn beinahe fallen ließ. Deswegen zog sie ihre Hand schnell
wieder zurück und steckte den Stein in ihre Hosentasche. Nicht auszudenken, sie
ließe ihn nun fallen!
Da draußen, irgendwo in den Millionen Liter Wasser, war etwas,
das diese Reaktion ihres Steines hervorgerufen hatte. Miki massierte ihre
Finger, damit diese sich nach dem Spiel auf Kälte und Wärme beruhigten. Ein
weiterer Stein konnte sich im Wasser versteckt halten, genau wie sie es sich
inzwischen ausmalte. Aber nach den vergangenen Fehlschlägen konnte es auch
sein, dass dort nichts weiter war. Trotzdem wurde Miki das Gefühl nicht los,
das Meer sei ihr Anhaltspunkt und nicht Bamsa. Jetzt musste sie nur noch einen
Weg finden, die Stadt zu verlassen ohne dabei zu ertrinken. Trevor könnte einen
kennen.
Als sie sich umdrehte, um in das Stadtzentrum
zurückzukehren, entdeckte sie Danny einige Schritte von ihr entfernt an einer
Hausmauer. Er beobachtete sie in dieser ruhigen Art, die so unerschütterlich
wirkte, den Kopf leicht gesenkt, was ihn ein wenig kleiner aussehen ließ, als
er eigentlich war. Er hatte immer etwas von einem schlaksigen Schuljungen mit
rotbraunem Haar, das sich von der hohen Luftfeuchtigkeit wellte.
„Sollte ich mir Sorgen machen, weil ich unter Beobachtung
stehe?“, fragte sie schmunzelnd, als sie vor ihm stand.
Danny schaute sie verwirrt an. Er öffnete den Mund,
schloss ihn wieder. Dann biss er sich kurz auf die Unterlippe. „Nein.“
„Aber du willst mir etwas sagen, oder?“
Sein Blick schweifte, während er nach einer Antwort
suchte. Miki ließ sich davon nicht durcheinanderbringen, schließlich hatte sie
genug Zeit gehabt, sich daran zu gewöhnen.
„Willst du zurück?“, fragte er schließlich.
„Wohin?“
Danny guckte irritiert zu ihr hinunter. „Na, nach Hause“,
sagte er schließlich leise, „raus aus Traumland.“
„Irgendwie schon, weil es mein Zuhause ist. Aber… ich
weiß nicht. Ich habe viel Zeit im Krankenhaus verbracht, verstehst du? Es wurde
nie wirklich geklärt, was ich habe und… das macht mir Angst. Hier bin ich
völlig in Ordnung!“
„M-hm“, machte er, während er nickte.
Miki wartete ab, ob er noch etwas sagen wollte. Doch er
schwieg.
„Wie sieht es mit dir aus? Was erwartet dich zuhause?“
Er zuckte mit den Schultern. „Irgendwas. Ich weiß nicht.
Ich erinnere mich nur an Bruchstücke und die machen wenig Sinn.“
„Was weißt du denn noch?“
Miki lehnte sich an die Hausmauer, um es sich bequemer zu
machen und ihm das Gefühl zu nehmen, sie wolle ihn verhören. Denn er konnte ihr
vertrauen.
„Splitterndes Glas. Ein dunkler Raum mit einem Monitor.
Die Zahl 1989. Und daran, dass irgendwer enttäuscht von mir war…“
„Und sonst?“
Es folgte eine lange Stille. Miki wusste nicht, wie sie
Danny helfen sollte und ob das überhaupt möglich war. Schließlich griff sie
einfach nach seiner Hand und drückt diese fest.
„Mein Name ist nicht Danny. Also, doch, er ist Danny,
aber das kommt von Daniel… danach ist alles weg. Ich habe auch einen
Zweitnamen, nur…“
„Das tut mir leid.“
„Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es nicht besser so
ist. Schließlich laufen wir hier alle vor etwas davon.“
Sie schaute zu ihm hinauf und spürte, wie er seine Finger
zwischen ihre gleiten ließ.
„Wie meinst du das?“
„Schau uns doch an. Du bist mysteriös erkrankt, ich
erinnere mich an nichts. Tyler wurde wohl schwer gemobbt und Thea… sie ist zu
glücklich hier zu sein, um es leicht gehabt zu haben.“
Die Spitzen seiner Ohren wurden rot, wohl weil er zu viel
redete. Oder wegen der Gedanken an Thea. Miki ließ sich seine Worte durch den
Kopf gehen. Was er sagte, klang auf eine Weise ebenso schlüssig wie
schrecklich. Waren sie wirklich damit beauftragt worden, Traumland zu retten,
weil sie im richtigen Leben nichts zu verlieren hatten?
„Glaubst du, wie sind hier, was wir zuhause nicht sein
können?“, fragte Miki tonlos.
Danny lächelte leicht, was sie überraschte, weil es so
melancholisch aussah.
„Wer will schon so beschneidend schüchtern sein wie ich?“
„Jemand, der mit einer großen Klappe gescheitert ist?“
Erst als er das Gesicht verzog, begriff sie, was sie gesagt hatte. „Ich glaube
aber nicht, dass du… ähm…“
„Dass ich eigentlich ein Arschloch bin?“
„Genau!“
„Was dann? Wovor bin ich geflüchtet? Bin ich vielleicht
fast tot? Ich habe keine Ahnung.“
Sie lehnte sich an ihn, wobei ihr Kopf nur knapp über
seine Schulter ragte. Seine Hand drückte ihre ein wenig fester.
„Der Danny, den ich kenne, ist introvertiert und total
nett.“
Er seufzte. „Und wenn ich der selbstsüchtigste Idiot der
Welt bin?“
„Und wenn du der liebenswerteste Mensch der Welt bist –
das kann doch auch sein. Das kann ich mir auch viel besser vorstellen.“
Als er darauf nicht antwortete, rückte sie von ihm weg,
um ihn ansehen zu können. Sein Gesicht war gerötet und er vermied, ihr in die
Augen zu sehen. Dennoch strich er sanft mit seinem Daumen über ihren Handrücken,
was ihr erst zeigte, dass sie ihn nicht losgelassen hatte.
„Und wenn…“, er biss sich erneut kurz auf die Unterlippe,
„wenn das hier unsere letzte Chance ist? Wenn wir gerade dabei sind, unsere
Leben zu beenden?“
Miki wurde bei dem Gedanken blass. Sie war niemals
suizidal gewesen, jedenfalls nicht soweit sie sich erinnerte. Zumal ihr zur
Durchführung etwaiger Pläne wahrscheinlich eh die Kraft gefehlt hätte.
„Sag sowas nicht.“
Danny hob seine freie Hand und strich Miki damit über den
Arm, als wolle er sich entschuldigen. Würde er dabei nicht von ihr wegsehen,
ginge es ihr durch seine Geste auch besser.
„Sollen wir zurück zu Trevor? Du hast vorhin ausgeschaut,
als hättest du was herausgefunden.“
Sie nickte, während sie schon an seiner Hand zog.
Selbstmord war nichts, worüber auch nur einer ihrer Begleiter jemals nachdenken
sollte. Es ließ sich nur nicht ausschließen, dass sie es getan hatten, immerhin
kannte sie sie noch nicht lang. Miki versuchte den Gedanken zu verdrängen.
Dannys Hand ließ sie den ganzen Weg über nicht los.
Wow! Einfach nur wow!
AntwortenLöschenIch hab das Gefühl dein Schreibstil wird immer, immer besser und deine Geschichten immer lebendiger.
MIr hat dieses Kapitel oder dieser Ausschnitt regelrecht Gänsehaut eingejagt. Gerade der Austausch zwischen Miki und Danny über das Leben, das sie eigentlich führten und weshalb sie nun im Traumland sind und wer sie eigentlich wirklich sind.
Danke, Liebes! Ich finde es schön, dass wenigstens du einen Fortschritt in meinem Stil erkennst. Ich sehe ihn nämlich irgendwie nicht. xD
LöschenDas gehört alles zum neuen Ansatz für die Geschichte. Nachdem Miki und Danny ja auch die einzigen Charaktere sind, die übrig geblieben sind, konnte ich ihnen auch dunklere Züge geben. Die ersten Versionen waren ja doch eher... Self-Insert Fanfiction der Sorte happy-go-lucky.