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[Überblick]

Ich fand, es ist mal an der Zeit, ein wenig Ordnung in die Challenge zu bringen. Immerhin ist es auch für mich schwierig geworden, immer die...

21.10.2012

100 Themes

Natürlich gehe ich nicht davon aus, jemals zu allen hundert Themen einen Text zu schreiben, das verbietet mir schon meine Faulheit. Aber Inspiration kann ich aus ihnen ziehen.

Hier der Beitrag zu: Introduction.


Schon lange saß er an diesem Tisch und beobachtete die Menschen rundherum, die geschäftig an dem Café vorübergingen oder sich einen Moment überlegten, ob sie nicht doch eintreten sollten. Es war ein schöner sonniger Herbsttag, das Laub hing in allen Farbtönen zwischen einem frischen Grün und Feuerrot an den Bäumen. Man konnte es sich gutgehen lassen, einfach durch die Stadt schlendern, die Schaufenster und Auslagen betrachten. Man konnte einen Kaffee genießen oder Eis essen. Man konnte Leute beobachten.
Er bestellte mit wenigen Worten einen zweiten Kaffee bei der kleinen Kellnerin, die ihm immer wieder verheißungsvoll zulächelte, doch das ließ ihn kalt. Dieses Ding wollte sich ein nettes Trinkgeld mit einem hübschen Gesicht verdienen, doch diese Tour zog bei ihm nicht, nein, da musste schon mehr kommen als große rehbraune Augen. Bambi war nicht ganz sein Typ.
Eine Gruppe Kinder schlängelte sich durch die Stühle, es mussten Schüler sein, die zu irgendeinem Denkmal oder Kino unterwegs waren, etwas spät zwar für einen Schulausflug, aber durchaus zur Nachmittagsvorstellung irgendeines Filmes, der sie sicherlich zu Tode langweilen würden. Ihnen voran gingen ein Mann und eine Frau, die sich verwirrt in alle Richtungen – außer nach hinten – umschauten, auf Karten und Smartphones schauten und sich rege unterhielten. Eindeutig die Lehrer. Der Mann interessierte ihn nicht, ein junger Schnösel, wahrscheinlich noch keine drei Jahre aus der Universität heraus, Selbstsicherheit in Körperhaltung und Gang, der versuchte, sein Telefon so zu drehen, dass er etwas erkannte, was ihnen weiterhelfen konnte. Sie hingegen war interessanter. Immer wieder glitt ihr Blick zur Karte auf dem Display, dann schüttelte sie den Kopf mit den hellbraunen Locken. Ihr gefiel der Faltplan, den sie beharrlich immer wieder ins Blickfeld schob, augenscheinlich besser als die Karte auf dem Telefon, was ihr jüngerer Kollege – ebenfalls augenscheinlich – nicht nachvollziehen konnte.
Er grinste und nahm der Bambi-Kellnerin den Kaffee ab, den diese mit ihrem zuckersüßen Lächeln abstellen wollte. Nee, Kleine, von mir kriegst du kein Trinkgeld, schmink dir das mal schön ab.
Die Lehrerin drehte sich um und wies die Kinder zurecht, die daraufhin sofort zwischen den Tischen und Stühlen der Cafés und Eisdielen verschwanden und einigermaßen geordnet auf dem Gehsteig zum Stehen kamen. Eine Klassenfahrt. Im Herbst? Das konnte er nicht einschätzen, er war kinderlos und seine eigene Schulzeit lag gefühlte hundert Jahre zurück. Vielleicht machte man Klassenfahrten um diese Jahreszeit, immerhin war auch der Frühling nicht besonders geeignet und im Sommer war frei. Was interessierte es ihn? Die Kinder, der junge Lehrer, sie alle interessierten ihn nicht. Nur die Lehrerin, sie mochte um die vierzig sein, mit den braunen Locken und dem gerade spöttischen Gesichtsausdruck, als die Karte auf dem Smartphone wohl eindeutig versagte, weckte ein gewisses Bedürfnis, sich näher mit der Materie „unbekannte Frau“ zu beschäftigen. Aber dem würde er nicht nachgehen, wie auch, er saß hier, trank einen Kaffee, und diese Frau würde weitergehen, gefolgt von einer Bande Schüler und einem Kollegen, der es nicht sicher nicht so leicht verkraftete, dass die Technik sich geschlagen geben musste.
Als sie schließlich ihren Weg fortsetzten, nahm er einen tiefen Schluck seines Kaffees, der ihm viel zu schwach war, das hatte er schon bei der ersten Tasse bemerkt. Eigentlich eine Frechheit bei den Preisen, die hier verlangt wurden, aber er war zu träge, sich ein anderes Café zu suchen, sodass ihm nur der dünne Kaffee übrig blieb. So hatte er wenigstens seine Ruhe und konnte sich ein wenig über Bambi lustig machen, die mit dem Elan eines Kitzes zwischen den Tischen hin und her sprang. Ja, die hatte wirklich etwas von einem Bambi, obwohl das nur aufgesetzt sein konnte, Berechnung.
Ohne Fokus schweifte sein Blick über die Umgebung. Es war ein netter Platz, der mit grauen Pflastersteinen ausgelegt war, in der Mitte ein Brunnen, um den sich Touristen scharrten, obschon er weder besonders pompös noch schön war. Eher ein wenig kitschig mit den kleinen Engelchen, die aus ihren großen Krügen Wasser vergossen. Die Stadt hegte diesen kleinen Schatz wie ihren Augapfel, der weder zum Sitzen benutzt werden durfte noch dazu, Münzen hineinzuwerfen. Jedenfalls in der Theorie. Auch hier herrschte der chronische Geldmangel sämtlicher Städte auf der ganzen Welt und so gab es niemanden der sich verantwortlich fühlte, die Verbote zu kontrollieren und durchzusetzen.
Drumherum hatten sich in gebührendem Abstand eine Reihe Souvenirhändler aufgestellt, die dem ohnehin schon kitschigen Brunnen mit noch kitschigeren Geschenkartikeln ihren Tribut zollten. Erstaunlich war das nicht, denn die Touristen stürzten sich darauf wie ausgehungerte Wölfe, dabei waren höchstens die Ansichtskarten einigermaßen geschmackvoll. Nun, er konnte Nippes nichts abgewinnen, daran musste es liegen, dass er das alles albern fand.
In sein Blickfeld trat eine junge Frau, die in der Hand eine Tüte eines der Geschäfte hielt, die sich jenseits der Souvenirhändler und damit auf Höhe der Eisdielen und Cafés befanden. Sie wäre ihm gar nicht weiter aufgefallen, wenn ihr Gang ihn nicht so fasziniert hätte. Wiegende Hüften, lange Beine, die unsichere Schritte setzten. Dieser scheinbare Gegensatz ließ ihn sie weiter anschauen, die hochgeschlossenen Lederstiefel mit den flachen Sohlen, ein hellrosafarbenes Kleid, das weit über den Knien endete und leicht, ja, am Saum sogar fast durchsichtig wirkte. Um die Schultern trug sie ein dunkelrotes Tuch. Auch das passte in seinen Augen nicht zusammen. Sie schaute sich nervös um, ehe sie sich auf einen Stuhl in seiner Nähe setzte, was es ihm erleichterte, sie in den Augen zu behalten. Der Aufzug war nicht ihre Wahl, jedenfalls glaubte er das nicht. Sie sah verloren aus in dem Kleid, ihr Haar, das die Farbe von Akazienhonig hatte und ihr bis knapp über die Schulter reichte, und wurde auf einer Seite von einer Spange zurückgehalten, auf der eine rosafarbene Blüte klebte, an der sie unentwegt herumfummelte.
Ein Erkennungszeichen, dachte er, sie will sich mit einem Fremden treffen, den sie nicht kennt.
Und wie es aussah, war das nicht einmal ihre Idee gewesen. Die Kleidung, die ihm nicht recht gefiel, aber ihre Figur betonte, schien ihr Unbehagen zu bereiten, dieser Ort schüchterte sie ein, das konnte auch das präzise gesetzte und trotzdem so bemerkenswert dezentes Make-up nicht vertuschen. Von ihr ging eine Weiblichkeit aus, die unschuldig wirkte, als sei sie sich ihrer Femininität nicht recht bewusst.
Langsam ging er die wenigen Schritte zu ihr hinüber und beugte sich über sie. Sofort zuckte sie zusammen, schaute ihn dann jedoch an. „Ja…?“, sagte sie leise.
„Sie haben nicht zufällig ein Taschentuch für mich?“, fragte er mit einem charmanten Lächeln, das sie nur dazu brachte, ihn aufmerksam unter ihren dichten schwarzen Wimpern zu mustern. Er schätzte diese junge Frau, dieses Mädchen nicht als jemanden ein, der sich selbst dieses Make-up aufgelegt hatte, dafür hatte sie zu sehr die Ausstrahlung einer grauen Maus.
„Nein, ich glaube, ich habe keines dabei, tut mir ehrlich leid.“ Diese klare, wortreiche Entschuldigung passte nun wiederum auch nicht ins Bild.
„Schade.“
Er wandte sich seinem Platz wieder zu, setzte sich hin und griff eine Serviette, als habe er sie gerade erst auf dem Tisch entdeckt. Der jungen Frau winkte er damit zu und zuckte mit den Schultern. Ich Idiot, sagte diese Geste, doch sie sah ihn nur unverständig an.
Eine überaus spannende Person. Kleines Mädchen, gleichzeitig Frau, in sich gekehrt, aber im Umgang mit Menschen durchaus nicht auf den Mund gefallen – all das reimte er sich nun anhand einiger Blicke und weniger Worte zusammen. Dieses Mädchen musste er unbedingt näher kennenlernen, da kümmerte es ihn auch nicht, dass es hier offensichtlich auf jemanden wartete, aber, hey, wenn es einen Fremden treffen wollte, dann war er doch so gut wie jeder andere auch.
Ihre Blicke trafen sich. Wieder lag Beklemmung in ihren Augen, gerade so, als habe sie Angst vor ihm oder ihrer derzeitigen Situation.
Eine junge Frau einem einzigen Widerspruch gleich. Wie sie wohl wirklich war? Wer ihr dieses Outfit und das Date wohl besorgt hatte? Sie war sicherlich keineswegs so schüchtern, wie sie wirkte, doch das hatten diese Leute – Freunde, nahm er an – wohl nicht begriffen.
„Entschuldigung“, hörte er sich da auch schon sagen, „Sie warten auf jemanden?“
„Ja.“
„Den Sie nicht kennen.“
„Geht Sie das etwas an?“, fragte sie schnippisch.
Das machte ihn einen Moment lang sprachlos. „Nein, natürlich nicht. Ich frage mich nur, wer Sie warten lassen würde.“
Sie seufzte. War die Grobheit eine Flucht nach vorne? Oder war die schüchterne Seite nur gespielt?
Er schaute lange zu ihr hinüber, während Bambi zwischen ihnen hindurch ging.
„Nun“, sagte sie vorsichtig. „Wenn es sie eh schon so interessiert… kann ich doch…“, sie biss sich auf die Unterlippe, schaute sich um, „dann kann ich auch an ihrem Tisch warten, oder?“
Darauf nickte er nur. Geschmeidig erhob sie sich von ihrem Stuhl und kam zu ihm hinüber. Eine merkwürdige Situation, auch für ihn. Trotzdem stellte er sich mit klarer Stimme vor, immer ihrem Blick ausgesetzte, so voller Dingen, die alle widersprüchlich waren, und gleichzeitig unglaublich anziehend.
„Ich bin Tia.“

1 Kommentar:

  1. Ein schöner Text. Ich bin ganz begeistert!
    Der Protagonist war mir von Anfang an sympathisch. Die Lehrerin mag ich, weil sie nichts auf die Smartphone Karte von dem anderen Typen gibt und lieber bei ihrer analogen Karten bleibt ♥ Das Mädchen ist interessant und widersprüchlich. Und wie immer bei solchen Texten möchte ich nur eines: weiterlesen. Es hört immer da auf, wo es gerade besonders interessant/spannend ist - was wohl auch Absicht ist.

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