Dass ich mit der Zeit Charaktere so liebgewinnen konnte, die es vor der Challenge nur in Nebensätzen - oder auch gar nicht gegebene hatte - überrascht mich immer noch.
Christopher war nur Alecs Bruder und fand ursprünglich nur gelegentlich Erwähnung.
Angelique war immer als ein POV-Charakter geplant.
Elrica entstand, weil ich mir für den ersten Post zur Challenge eine Protagonistin ausdenken musste, die den bestehenden Kanon ihrer Geschichte nicht zu sehr durcheinanderbringen sollte. Witzig, wie wichtig sie seither in jeder Planung wurde.
Christopher stand schräg hinter mir, gekleidet in die
Galauniform, die ich bisher nur wenig an ihm gesehen hatte. Weiße Hosen in
schwarzen Stiefeln, dazu ein blauer Mantel mit goldenen Knöpfen, was
erstaunlich gut mit meinem Kleid harmonierte, das von blau und weiß mit
goldenen Akzenten gekennzeichnet war.
Er war nach wie vor der verkehrte Pierce, doch ich
merkte, wie wir uns immer mehr heimliche Blicke zuwarfen, wenn es die Situation
auch nur einigermaßen erlaubte. Seit dieser einen Begegnung, über die wir nicht
sprachen, hatte sich eine Vertrautheit zwischen uns eingeschlichen, mit der ich
mich nicht so wohlfühlen sollte. Er war mein Wachmann, ein Freund, den ich
nicht haben sollte, aber kein Vertrauter in dem Sinne, den man mir an meinem
eigenen Hof zusprach.
Seit einer knappen Stunde saß ich in der Kälte des Winters
und schaute den Soldaten unter mir bei einer Parade zu meinen Ehren zu.
Geburtstage hatten mir nie viel bedeutet, doch jetzt hatte sich das ändern
müssen. Als Königin wurde ich gefeiert, ob es mir gefiel oder nicht. Ein
kleiner Trost waren die Suppenküchen, die auf mein Geheiß zu diesem Ereignis in
der Stadt eröffnet wurden, um jeden teilhaben zu lassen. Ein Zeichen der
Schwäche, sagten meine Kritiker laut. Verschwendung des Geldes der Krone aus
Sentimentalität. Von den Ehrenwerten Brüdern instrumentalisiert war ich laut
ihrer Meinung ja seit Beginn meiner Regentschaft und dies sei nur ein weiterer
Beweis dafür.
Die Soldaten nahmen ihre letzte Formation ein, nach der
eine Reaktion von mir erwartet wurde, die nicht vorgeschrieben war, sich jedoch
am Protokoll orientieren musste. Bereits bei meinem letzten Geburtstag war das
der Teil gewesen, der mir am meisten Bauchschmerzen bereitet hatte.
Ich stand langsam auf, was hoffentlich anmutig aussah,
und klatschte mit meinen behandschuhten Händen. Applaus gehörte zu den Dingen,
die mir nicht verboten waren, wie ich vor einigen Wochen überrascht festgestellt
hatte. Das von anderen Leuten als mir ausgesuchte Publikum stimmte mit deutlich
mehr Enthusiasmus ein. Sie durften auch pfeifen und weniger zurückhaltend sein
als ich, bei mir konnte das jederzeit als Verfehlung gewertet werden.
Als mein Applaus verstummte, dauerte es nur einen
Augenblick, ehe niemand mehr zu klatschen wagte.
Ich verließ die Tribüne, auf der ich als Ehrengast und
Gastgeberin gesessen hatte, und ließ mich von Christopher wieder zurück in den
Palast führen, wo ich alsbald für den nächsten Tagespunkt hergerichtet werden
würde: den Geburtstagsball.
„Sie wollen, dass du einen Gatten findest, oder?“, fragte
Christopher leise hinter mir. Er musste dabei nicht aussprechen, wen er meinte.
„Durchaus.“
„Die Gästeliste beinhaltet einige gut situierte Männer im
heiratsfähigen Alter und von hohem Rang. Ich gehe davon aus, du hast keinen von
ihnen hier haben wollen.“
Ein Kopfschütteln, mehr wagte ich nicht zu antworten.
Wir erreichten bald meinen Ankleideraum, in den ich
lugte. Es war noch niemand da, also zog ich Christopher mit mir hinein.
„Ich soll mich vermählen, damit mein Mann die
Regentschaft an meiner statt übernimmt. Natürlich nicht zu öffentlich,
schließlich ist mir die Macht von Gott gegeben worden, aber er soll mich
lenken. Das ist der Plan. Und wenn aus dieser Verbindung männliche Erben
hervorgehen, ist es sicher der Wunsch aller, dass ich alsbald die Krone an den
Thronfolger abtrete. Wenn ich nicht gewillt bin, das zu machen, lässt sich ein
kleines Attentat arrangieren.“
Während Christopher meine Worte sinken ließ, ging ich zu
dem Kleid, das ich am Abend tragen würde. Ich hatte mich erfolgreich gegen eine
Monstrosität in pudrigen Rosatönen durchgesetzt und würde ein elegantes
Jadegrün tragen. Die Damen hier hingen noch ein wenig an Puderfarben, aber in
Paris waren Edelsteinfarben gerade im Aufwind, was sämtliche Schattierungen
deutlich kräftiger machte, als ich es aus den letzten Jahren kannte.
„Es gibt so viele junge Frauen in der höheren
Gesellschaft, die dich um die Bälle und Kleider und Aufmerksamkeit und noch
vieles andere beneiden. Wenn sie wüssten, wie wenig Macht du über dein eigenes
Leben hast, ginge es ihnen da anders, denke ich.“
Ich hörte, wie er zu mir kam, und spürte seine Hand auf
meinem Oberarm.
„Hilfst du mir aus diesem Mantel?“, fragte ich ein wenig
heiterer als das Thema es gebot.
Er kam um mich herum, zog seine Handschuhe aus und
öffnete dann die großen Knöpfe, die ich durchaus auch selbst öffnen konnte. Aber
mir war die Nähe zwischen uns gerade mehr als willkommen.
„Wirst du denn heute nach einem jungen Herrn Ausschau
halten?“, fragte Christopher beiläufig, als er am letzten Knopf ankam.
„Nicht mehr als sonst. Also, nein, werde ich nicht. Aber
irgendwann wird mir jemand vorgesetzt, denn als Königin kann ich nicht zu lange
ungebunden bleiben.“
Er ging um mich herum und nahm mir den Mantel ab. Meine
Schultern fühlten sich bedeutend leichter an.
„Du wirst dennoch ein Mitsprachrecht haben, oder etwa
nicht?“
Ich schaute ihm zu, wie er meinen Mantel aufhängte, ehe er
seinen über eine Stuhllehne legte.
„Meine Vermählung dient einzig politischen Zwecken. Wer
auch immer mein Gemahl wird, er wird seinen Zweck erfüllen, für sein Reich und
meines.“
„Also wirklich keinerlei Gefühle.“
„Wenn ich Glück habe, ist er nicht unausstehlich.“ Ich
seufzte. „Ich sollte mir doch heute einen der Junggesellen genauer ansehen und
dann einfach in die ganz enge Wahl nehmen. Besser ich suche mir selbst aus, mit
wem ich gewissen Pflichten nachgehen muss, als dass ich am Ende mit einem
Prinzen verheiratet werde, der nicht einmal des Lesens mächtig und dazu noch
überaus rüpelhaft ist.“
Meine Handschuhe legte ich auf die Schultern der Puppe,
an der mein Abendkleid hing.
„Und wie wäre…“, Christopher zögerte. „Du hast doch
sicher schon einmal eine morganatische Ehe in Betracht gezogen. Wegen Alec.“
Seine hellen Augen musterten mich vorsichtig.
„Natürlich habe ich mir kurz derlei romantische Gedanken
gemacht, aber nicht wegen Alec.“
Bei Alec hatte ich noch alles in diese Richtung aus
meinem Kopf verbannt. Der Wunsch ganz frei entscheiden zu können, war erst
danach wirklich in mir gereift.
„Weshalb-“
Weiter kam Christopher nicht, denn die Tür ging auf und
Elrica kam mit einigen anderen Damen in das Zimmer hinein.
„Majestät“, sagten die Damen wie aus einem Munde zur
Begrüßung.
„Du musst jetzt gehen“, sagte Elrica resolut zu
Christopher, der sich dem sogleich nach einer kurzen Verbeugung fügte. Es war
eh ungehörig gewesen, solange mit mir in einem Raum bei geschlossener Tür zu
verweilen. Ich fühlte mich davon ein wenig erleichtert, denn so musste ich ihm
nicht die Frage beantworten, die er mir gerade hatte stellen wollen. Er musste
nicht wissen, dass es Momente gab, in denen ich mir mehr als diese eine
heimliche Begegnung zwischen uns wünschte.
Für mich war es unmöglich, ihn noch näher an mich heranzulassen, und für ihn war ich doch nur Ablenkung, wenn Elrica nicht in der Nähe war. Zwischen ihnen schien zwar etwas vorgefallen zu sein, aber ich konnte mir nicht denken, dass sich seine Gefühle ihr gegenüber verändert hatten. Eine Ablenkung wollte ich nicht sein, dafür besaß ich zu viel Stolz.
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