Mir auszudenken, wie die Umgebung in Traumland aussieht, stellt mich irgendwie immer wieder vor eine Herausforderung. Der einzige Gedanke, der mir dann kommt, ist: BUNT! Aber das dann in eloquentere Worte zu fassen, erweist sich immer wieder als merkwürdiger Drahtseilakt, den ich gar nicht so sehr mag. Deshalb versuche ich mich weitgehend darum zu schummeln.
Taumelnd bahnte Miki sich ihren Weg durch die
Brausebirken und Colakiefern, die sie vor nur wenigen Stunden noch in
kindliches Staunen versetzt hatten. Jetzt waren sie nicht mehr als eine
Umgebung, aus der sie ausbrechen musste, um die anderen wiederzufinden. Mit
ihren trägen Füßen blieb sie kurz an einer Wurzel hängen, doch sie richtete
sich wieder auf und ging weiter. Ihr Stein führte sie mit dem langsamen Puls,
den sie in ihrer Hosentasche spürte. Wandte sie sich von der Richtung ab, in
die sie sich schleppte, hörte das Pulsieren auf und somit sah sie es als
Zeichen, dass sie auf dem richtigen Weg war.
Die Bäume um sie lichteten sich zusehends und bald sah
sie das mintgrün des Feldes, auf dem sie vor wenigen Stunden eine Rast
eingelegt hatten. Ehe alles den Bach runtergangen war. Schon von weitem waren
Stellen zu erkennen, an denen das Gras plattgedrückt oder verbrannt war. Die
ganze Umgebung wirkte weitaus matschiger und trister als zuvor, obwohl die
Sonne höhnend vom Himmel strahlte.
Miki folgte weiter dem Puls bis sie Danny auf dem Boden
entdeckte. So schnell sie konnte, ging sie zu ihm hinüber und ließ sich neben
ihn auf die Knie fallen. Er reagierte nicht. Schnell schaute sie über seinen
Körper, doch sie besaß nicht die Expertise, die Informationen zu etwas
Nützlichem zusammenzusetzen. Eine Blutspur schlängelte sich zwischen
trocknendem Matsch einen Weg an seiner Stirn herab, eine Hand hielt seine
Seite, mehr erkannte sie nicht.
„Danny?“, sagte sie vorsichtig und rieb ihm sanft über
die Wange. Ihre Finger fuhren dabei leicht über seine Narbe, was ihn sonst zu
einer deutlichen Reaktion gebracht hätte. Jetzt flatterten nur seine Lider.
„Bist du wirklich hier?“, fragte er undeutlich, als sei
ihm die Zunge schwer.
„Mein Stein hat mich zu dir geführt“, antwortete sie
lächelnd.
Er nickte schwach, doch ihm entwich sofort ein
schmerzerfüllter Laut. Es war wohl mehr als eine Stelle am Kopf.
„Mit mir ist alles okay, du kannst nach den anderen
schauen“, sagte er langsam, wobei die Worte ineinander verschwammen.
„Nein, das mach’ ich nicht! Ich lass’ dich hier nicht
alleine!“
„Aber die anderen-“
„Nein!“, stieß Miki mit einer Vehemenz hervor, bei der
ein kurzer Schmerz durch ihren Körper zuckte. Bei ihr war wohl auch mehr
verletzt als sie befürchtete.
Danny blinzelte sie unter schweren Lidern an. „Sie
brauchen dich.“
„Vielleicht. Aber du liegst gerade vor mir und ich kann
dir sofort beistehen. Ich könnte sie nicht finden. Und dann? Dann hab ich dich
umsonst alleingelassen.“
Sanft hob er die Hand und strich ihr über den Arm,
während er den Fokus verlor. Er fuhr mit den Fingern über Stellen, an denen der
Matsch bereits zu einer bröckeligen Schicht auf ihrer Haut getrocknet war, was
sie bei jeder Bewegung spüren konnte. Zum Glück gab es hier keine Spiegel oder
Gewässer, in denen sie erkennen konnte, wie es um ihren äußeren Zustand
bestellt war. Wenn Danny als Indikator diente, dann war sie aschfahl und
zerzaust, um es freundlich zu formulieren.
Doch was wirklich zählte war nur Dannys Wohlergehen,
worum sie sich nicht kümmern konnte, wenn sie verschwand. Zumal ihr Stein sie
seinen langsamen Puls gerade zunehmend verlor und ihr somit auf einer weiteren
Suche sicher keine Hilfe mehr war. Zwischen ihren beiden Steinen herrschte
schon seit einer Weile eine Verbindung, die sie sich nicht erklären konnte.
Dieses Erlebnis war nur ein weiterer Beweis dafür. Zwischen Joel und Thea sah
das ähnlich aus, also hoffte Miki, dass die beiden zueinander gefunden hatten
und unverletzt waren. Wie es um Amnes stand würde in dem Fall das größte
Mysterium bleiben.
„Habe ich dir schon mal gesagt, wie schön du im
Sternenlicht aussiehst?“, holte Danny sie aus ihren Gedanken.
Reflexartig kam ein Lächeln auf Mikis Züge, das dann
schnell wich. "Wie kommst du denn jetzt auf sowas?"
"Na, weil ich es gerade sehe."
Miki wurde kalt. Es war taghell um sie herum, leises
Vogelgezwitscher drang von den Bäumen aus zu ihnen. Sie beugte sich zu Danny
herunter, legte ihre Stirn auf seine Schulter, damit er nicht sehen konnte, wie
ihr Tränen in die Augen traten.
„Du bist immer so süß zu mir“, sagte sie, während sie
zittrig nach seiner Hand griff.
„Glaubst du“, er stockte, atmete tief durch, „glaubst du,
das war's? Dass ich wieder nach Hause komme? Dass ich mich wieder erinnere?“
Sie drückte seine Hand stärker. „Kann schon sein.“
„Dann hoffe ich, dass ich das hier nicht vergesse und
nach dir suchen kann.“
„Dann“, einmal tief aus und wieder einatmen, „dann freue
ich mich schon darauf, wenn du mich ausfindig machst und wir uns in der echten
Welt begegnen.“
„Im Sternenlicht?“
„Im Sternenlicht.“
Danny nickte noch einmal, ehe sein Kopf zur Seite fiel.
Miki hielt erschrocken den Atem an, ihr Ohr auf seinen Brustkorb drückte und
gegen das Wummern in ihren Ohren versuchte, zu lauschen. Da war ein Herzschlag.
Er war nur ohnmächtig, glaubte sie.
Die anderen mussten sie finden, das war die einzige Rettung. Wenn nicht- das wollte sie sich nicht ausmalen.
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