Empfohlener Beitrag

[Überblick]

Nachdem hier zuerst nur die Beiträge zu einer 50 Themes Challenge geordnet wewrden sollten, habe ich versucht, auch alle anderen kreativen T...

17.09.2025

[50 Precious Treasure]

 Einer der Texte, der sich hier etwas obskurer lesen wird, weil hinter der Protagonistin einiges an Hintergrundgeschichte steckt, die hier kaum zum Ausdruck kommt. Aber manchmal dreht es sich ja auch mehr darum, ein Gefühl einzufangen.


Eines Tages, das wusste Rose, würde sie ihre Flügel verstecken können. Sie hingen schwarz und bedrohlich an ihrem Rücken, unbenutzt, weil sie sich weigerte. Ihre Mutter verlor zunehmend die Geduld mit ihr, schließlich sei sie darauf vorbereitet gewesen, eines Tages endlich die Wege ihrer Herkunft zu akzeptieren. Zu ihrer dämonischen Gestalt passten sie sehr gut. Zu der fahlgrauen Haut, den langen knochigen Gliedern und dem Kopf, der in der Form irgendwo zwischen Windhund und Siamkatze lag.

Sie berührte sanft den Spiegel in dem Zimmer, das ihre menschliche Familie ihr gegeben hatte und das sie alsbald wieder verlassen musste.

An ihrer menschlichen Form sahen die Flügel aus wie ein Halloweenkostüm, so sehr wichen sie von ihrem hellen Teint und den blonden Haaren ab.

Rose seufzte und drehte sich um, wobei ihr Blick auf die wenigen Fotos fiel, die sie in bunten Rahmen aufgestellt hatte. Im Pilzrahmen war ein Foto vom Ausflug des Hockeyteams, zu dem sie hatte mitkommen dürfen, ohne Mitglied zu sein. Im Rahmen mit großen Blumen sah sie sich umringt von ihren Eltern und Geschwistern, die sie hier hinter sich lassen musste, ohne ihnen sagen zu können, wohin sie so plötzlich verschwunden war. Und etwas näher an ihrem Bett war der Bilderrahmen mit den Erdbeeren, den sie zu ihrem letzten Geburtstag bekommen hatte, weil er sich so gut in ihre Dekoelemente einfügte. Darin befand sich das Selfie, das sie einmal mit Bene gemacht hatte. Ihr Engel hatte niemals erkannt, was sie war – oder er hatte es erkannt und einfach darüber hinweggesehen, weil er sie mochte.

Und sie mochte ihn auch viel mehr als sie sollte.

Als sie sich ihrer Gefühle gewahr geworden war, hatte sie versucht, den Kontakt abzubrechen. Aber da waren sie schon zu gut miteinander befreundet gewesen. Außerdem wollte der egoistische Teil von ihr die Zeit mit ihm genießen, solange es ihr möglich war.

Jetzt konnte sie sich ihm nicht mehr nähern, denn nun war kaum zu leugnen, dass sie verfeindeten Gruppen angehörten.

Ein Geräusch von unten ließ sie die Luft anhalten. Wenn jemand kam, musste sie sofort verschwinden, damit niemand sie sah. Sie musste verschwunden bleiben, gesucht von der Polizei, die langsam aufgab. Rose hatte aus dunklen Winkeln in der Nachbarschaft beobachtet, was hier geschehen war. Sie kannte die Missing Person Poster, die überall ihr lächelndes Gesicht zeigten. Die Suche nahm schon einige Tage in Anspruch und es wurde viel gemutmaßt, was mit ihr geschehen sein konnte. Weggelaufen, entführt, im Wald angegriffen und verscharrt. Sie sei plötzlich, wie vom Erdboden verschluckt gewesen und leider traf diese Aussage die Wahrheit ziemlich gut.

Rose strich sich durch die neuerdings kürzeren Haare und ging zu ihrem Bett, wo sie gerade noch dem Drang widerstand, das Bild in die Hand zu nehmen.

Von allen Leuten, die sie wiedersehen wollte, dachte sie am häufigsten an Bene, selbst wenn ihr das für ihre Familie leidtat. Er war der einzige, den wiederzusehen, für sie jemals infrage kommen würde. Ihre Familie und anderen Freunde mussten glauben, sie sei verstorben. Wie genau würde für immer ein Rätsel bleiben und ihnen viel Schmerz bringen, da das Gehirn Lücken gerne mit dem schlechtestmöglichen Ablauf von Ereignissen füllte.

Vielleicht blieb dieses Zimmer noch eine Weile als Zeitkapsel erhalten. Als Rückzugsort, an dem Rose sich an ein Leben erinnern konnte, in das es keinen Rückweg mehr gab.

Und sobald sie gelernt hatte, ihre Flügel vor aller Welt zu verbergen, würde sie Bene suchen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen