Ja, sie ist eine outlandish creature, das darf ich nicht vergessen. Sie
ist es jedenfalls irgendwie. Und vor allem ist sie es genug, um in
diesme Text als selbige bezeichnet zu werden. Meine wundervolle
Rhapsodia Version 1.0. So sollte sie sein. Ob sie noch so ist, ist die
nächste Frage.
Eigentlich müsste dieser Text weitergehen, aber daraus kann man eine Geschichte von epischem Ausmaß spinnen - und dafür ist mir ein Tag zu kurz.
Sie sah auch bei genauester Betrachtung ganz normal aus, ja, geradezu
gewöhnlich. Sie hatte braune Haare, die ihr bis über die Schulter
reichten, und die blauesten Augen, die Ludwig jemals gesehen hatte. Auf
ihren leicht geröteten Wangen waren Sommersprossen, die ihrem Äußeren
einen kindlichen Charme verliehen.
Aber etwas an ihr war merkwürdig. Nicht nur die Art, wie sie redete,
so gewählt, oder ihre Kleidung, die zwar dem heißen Wetter, nicht aber
dem Jahrhundert entsprechend war, unterschied sich davon, wie Teenager,
denen er sie zuordnete, waren.
„Nun fangen wir noch einmal von vorne an“, sagte Ludwig betont
langsam und strich eine Haarsträhne zurück, die sich gelöst hatte, „Was
möchten Sie hier? Und diesmal bitte keine Story wie die gerade!“
Das Mädchen kaute auf der Unterlippe, senkte den Blick.
„Ich… ich erzählte Euch doch bereits, dass ich mich nicht entsinnen
kann, wie ich hierher kam. Ich wollte Euch gewiss nicht stören oder Euch
zur Last fallen, da ich nicht einmal beabsichtigt habe, überhaupt zu
Euch zu gelangen.“
Die Kleine wiederholte sich. In den vergangenen Minuten hatte sie
immer wieder beteuert, dass alles nur ein Zufall war, dass sie sich an
nichts erinnern konnte. Aber sie war nun einmal da, das konnte sie nicht
leugnen.
„Na fein, wenn es auf diese Weise nicht geht, dann muss ich eben
andersrum fragen: Woher kommen Sie denn?“, fragte Ludwig leicht gereizt,
sah das Mädchen zusammenzucken.
„Entschuldigen Sie, ich wollte nicht so harsch klingen, es ist nur…“
Es war schon so spät und er wollte endlich weg. Stattdessen musste er
sich hier um ein Mädchen kümmern, das ihn nicht einmal anschauen konnte.
Und das ihm auch nicht mehr antworten wollte, wie es schien.
„Miss, ich wollte Sie wirklich nicht ängstigen, das tut mir leid.
Vielleicht sollten wir doch anders beginnen, was denken Sie? Ich kenne
ja nicht einmal Ihren Namen!“
„…….ber“, nuschelte die Kleine.
„Wie bitte?“
„Färber. Rhapsodia Färber“, sagte sie, immer noch leise, jedoch hörbar.
Das konnte nur ein Spitzname sein, wer nannte sein Kind schon
‚Rhapsodia‘? Aber es gab auch Mädchen, die mit dem Namen Océane
‚gesegnet‘ waren.
„Gut, Miss Färber, ich bin Ludwig Schildknecht, es ist schön, dass
wir das so gut hinter uns bringen konnten. Und jetzt müssen Sie mir nur
noch sagen, woher Sie kommen, damit ich Dafür sorgen kann, dass Sie
sicher wieder nach Hause kommen.“
Sie schaute ihn fragend aus ihren großen blauen Augen an. Es sah aus,
als überlege sie sich, ob sie ihm antworten sollte. Gerade wollte er
sie vorsichtig dazu bringen, ihm die nötige Antwort zu geben, als diese
von ganz allein kam: „Ich komme aus Zwei- nein, ich meine aus der
Immerhellen Sta- nein, aus Zweiseen.“
Was sollte das denn? Entweder sie versuchte ihn zum Narren zu halten,
indem sie Orte nannte, die es nicht gab, oder es waren Einrichtungen,
die er nicht kannte. Ja, so würde es sein. Kneipen waren es bestimmt. Er
blickte das Mädchen an, das ihn wiederum erwartungsvoll anschaute.
Nein, keine Kneipe, nicht bei diesen Rehaugen – obwohl sie die falsche
Farbe hatten, waren sie einfach so groß und unschuldig, dass Ludwig kein
anderes Wort dafür einfiel.
„Gut, Zweiseen also“, sagte er nickend, griff währenddessen nach
seinem Tablet, um möglichst schnell in eine Suchmaschine diesen
Ortsnamen Suchbegriff eingeben zu können, „Sie müssen mir leider ein
wenig auf die Sprünge helfen, ich weiß nämlich nicht, wo es liegt.“
Ihre Augen ruhten auf der Stelle, wo seine Hände hinter dem Tisch verschwanden, als erwarte sie irgendetwas.
„Im Westen. Zwischen zwei Seen gelegen, daher der Name.“
Westen. Da war nicht mehr viel. Außer sie meinte nicht direkt
westlich der Stadt, sonder südwestlich, da war jede Menge. Den Westen
der Stadt konnte sie jedenfalls nicht meinen, da waren keine Seen, die
erwähnenswert wären.
„Wie kommen Sie denn hierher, Miss Färber? Hier in der Nähe gibt es
jedenfalls kein Zweiseen, das würde ich kennen. Liegt es eventuell im
niederländischen Teil?“
„Wie meinen?“
„Im niederländischen- Sie müssen doch wissen, was ich meine.“
Die Ratlosigkeit, die er in ihrem Blick erkannte, verwirrte ihn. Wieso wusste sie es nicht? Jeder wusste es!
Langsam zog er seinen Tablet aus der lautlos geöffneten Schublade
heraus und legte ihn auf den Tisch. Er loggte sich ein, öffnete den
Browser, gab ‚Zweiseen‘ in die Maske der Suchmaschine ein – und sah
dann, wie interessiert das Mädchen zu ihm schaute.
„Wie funktioniert das?“, fragte sie leise, als sie ihre Hand nach dem Tablet ausstreckte, dann jedoch zurückzog.
„Was meinen Sie?“
„Diesen Kasten, den Ihr haltet, Herr Schildknecht.“
„Mein Computer? Das ist doch nicht Ihr Ernst!“
Doch, das war es. Wieder kaute dieses Mädchen, diese Rhapsodia, auf
der Unterlippe und wandte den Blick ab. Das konnte nicht wahr sein, dass
sie es ernst meinte, konnte einfach nicht wahr sein. Lebte in einem
Ort, den auch die Suchmaschine nicht fand, kannte keine Computer, lebte
in ihrer eigenen… Welt…
„Erzählen Sie mir doch etwas über diesen anderen Ort, von dem Sie nicht kommen. Wie war der Name noch gleich? Immergrün-“
„Immerhelle Stadt.“
„Ja, genau.“
„Ich lebe- ich habe dort gelebt, doch nun möchte ich zurück in mein
richtiges Heim. Vielleicht war es der Wille der Göttin, dass ich dort
fortgerissen wurde. Nur endete meine Reise am falschen Ort. Bei Euch.“
Sie war verrückt, genau das war es wohl. Nein, verrückt war kein
Wort, das man benutzen durfte, eigentlich durfte man es nicht einmal
denken, immerhin konnten diese bedauernswerten Leute nichts für ihren
geistigen Zustand. Sie war wohl zurückgeblieben – wenn man das benutzen
durfte. Aber selbst dann müsste sie normale Dinge wie einen Computer
ohne groß Probleme erkennen. Und sich moderner ausdrücken. Und normale
Sachen tragen. Stattdessen saß sie vor ihm, mit geradem Rücken, die
Hände im Schoß gefaltet. Ihr Kleid war nicht hässlich, so war es nicht,
aber es war erstaunlich lang für ein Mädchen ihres Alters. Und es war
irgendwie um sie herum gewickelt oder sah auch nur so aus. Ludwig wusste
gar nicht genau, was ihn daran störte, er konnte es nicht beschreiben.
Vielleicht der Stoff, der wesentlich grober aussah als alles, was er
kannte?
„Es war bestimmt ihr Wille, sonst wären Sie ja nicht hier, Miss Färber.“
„Nennt mich doch Rhapsodia…“, warf sie leise ein.
„Gut, Rhapsodia, wie Sie möchten. Ich bin überzeugt davon, dass alles so geschehen ist, wie es geschehen sollte.“
Das erste Mal zeichnete sich ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht
ab. So war es schon besser, viel besser. Kein kleines verschrecktes
Mädchen mehr, sondern eines, das glücklich war.
„Dann müssen wir ja nur noch zusehen, wie wir Sie wieder nach Hause kriegen.“
Dafür musste Ludwig jedoch erst einmal erfahren, woher sie genau kam.
Zweiseen und Immerhelle Stadt. Wo war es immer hell?
Vergnügungsviertel? Wie sah die Herbertstraße eigentlich- Nein, die
kleine Rhapsodia war unter Garantie keine Prosituierte.
Aber Junkie, das konnte sie sein. Dann jedoch ein schlimmer Fall nach
jahrelangem Konsum irgendwelcher Substanzen, die das Gehirn vollkommen
zerfressen hatten. Es gab einige jugendliche Junkies und die
Dunkelziffer war bestimmt groß.
Junkie. Junkie. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie wirklich
einer war. Sie sah so wach aus, wenn auch verwirrt. Aber er hatte auch
keine Erfahrung mit Abhängigen.
Ein Fluch? Wenn ein Fluch an ihrem merkwürdigen Verhalten Schuld
tragen sollte, dann konnte er das nicht überprüfen – sein Gatherermodul
war defekt, zeigte bei niemandem mehr einen Fluch an.
„Sie sind doch bestimmt hungrig“, er hob zum Ende hin fragend die Stimme.
Rhapsodia nickte zögerlich, blickte auf den Tablet Computer, der auf
dem Tisch lag und sich gerade in den Standby-Modus verabschiedet hatte.
„Dann bringe ich Sie am besten zu einer Freundin von mir. Sie wohnt
in diesem Gebäude und hat sicher nichts dagegen, jemanden wie Sie zu
bewirten.“
Die blauen Augen wandten sich vom Tablet ab, schnellte nach oben. Ängstlich.
„Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte Ludwig vorsichtig, doch sie schüttelte nur mit dem Kopf.
Wieder verneinte sie, obwohl sie bejahen müsste. Sie hatte wohl doch Angst vor ihm. Irgendwie. Aber das musste sie doch nicht!
Ludwig stand auf, behielt Rhapsodia dabei im Blick, als könne sie
sich in Luft auflösen, wenn er sich von ihr wandte. Sie schaute immer in
seine Richtung, jedoch direkt an ihm vorbei. Gleich würde er mit diesem
Mädchen zu Casey gehen, die ein wenig Essen auf den Tisch bringen
würde. Dann konnte er ihr alles erklären und Casey würde nachsehen, ob
ein Fluch der Auslöser für alles war. Es war zumindest eine logische
Erklärung. Die einzige, die Ludwig im Moment-
Er fühlte, wie er gegen etwas stieß, erwartete jede Sekunde ein
Geräusch zu hören, das davon zeugte, dass etwas gefallen war – doch er
sah nur, wie Rhapsodia aus ihrem Stuhl aufgesprungen war und die Hand
ausstreckte. Sie fixierte einen Punkt hinter Ludwig, so dass dieser sich
umdrehte, um nachzuschauen.
Das konnte nicht sein, das war nicht möglich.
Er war gegen einen kleinen Beistelltisch gestoßen, auf dem eine Vase
stand. Eine Vase, die mit roten irgendwas gefüllt war. Eine Vase, die
davon hätte auf dem Boden landen müssen. Aber das tat sie nicht, sie
schwebte in der Luft, bewegte sich nun wieder zu dem Platz, auf den sie
gehörte.
Nein. Nein!
Ludwig rieb sich die Augen, sagte sich, er sei bestimmt überarbeitet.
Dann schaute er langsam zurück zu Rhapsodia.
„Bitte verratet niemandem, dass ich das kann!“, flehte sie.
Awwwww! :3 Das war so schön zu lesen!! Echt schade, dass der Text schon zu Ende ist.
AntwortenLöschenRhapsodia ist wirklich süß. Und ich finde das echt faszinierend die ganzen Geschichten um diese eine große Geschichte zu lesen. So viele unterschiedliche Charaktere. So viele Geschichten, die zu ein und derselben gehören. :)