Sie jubelten ihnen zu, weil sich das so gehörte, wenn ein
Geburtstag gefeiert wurde. Der Geburtstag des Stadtherren, der deshalb ein
rauschendes Fest gab. Alles war bunt, alles roch nach Blumen, von denen viel
mehr verteilt worden waren, als es den Rest des Jahres zusammengenommen in der
Stadt gab. Der Stadtherr und einer seiner Söhne, der sich mit seinem Eheweib
der Menge präsentierte, trugen je eine weiße Rose. Die Schwiegertochter des
Stadtherren hielt einen orangefarbenen Strauß und hatte eine weiße Lilie im Haar.
„Das soll bestimmt unschuldig wirken“, flüsterte eine
Frau ihrer Freundin ins Ohr, „aber das ist die Kleine ganz gewiss nicht.“
„Halte deine lose Zunge im Zaum!“, erwiderte die Freundin
empört, lehnte sich dann etwas näher an die Frau heran, „Wieso denn?“
„Nun, sieh dir doch einmal ihr Gesicht an. Sie freut sich
nicht, dort stehen zu dürfen, obwohl sie einen so vorzüglichen – und noch dazu
unerhört reichen – Ehegatten bekommen hat. Trotz ihrer fraghaften Herkunft!“
„Herkunft? Ich weiß gar nicht, woher sie kommt…“
„Das ist ja das Problem! Ich hörte, sie sei eine
Gefangene gewesen, die ausbrach und in dieser Stadt nach Schutz suchte.“
„Eine Verbrecherin?“, wiederholte die Freundin ungläubig
und schüttelte mit dem Kopf, „Das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Du musst es ja nicht glauben, jedenfalls habe ich das so
gehört – und ich finde es auch nicht unwahrscheinlich. Traue niemals einer Frau
mit einem lieblichen Gesicht.“
Die Freundin schaute wieder hinauf zu der Familie des
Stadtherren. Die Schwiegertochter guckte nicht besonders glücklich, eher
verschreckt. Sie versteckte sich ein wenig hinter ihrem Gatten, wenn man genau
darauf achtete, konnte man es sehen.
„Was erzählt man sich denn noch so? Immerhin meintest du,
sie sei nicht so unschuldig wie sie aussehen soll.“
„Das Kind, das sie erwartet, ist sicherlich nicht das
ihres Mannes.“
„Wie das?“
„Sie ist sehr gut mit einem Berater ihres Schwiegervaters
befreundet. ‚Befreundet‘. Manchmal soll sie bei ihm ‚übernachtet‘ haben. Und
wenn nicht das, dann war sie jede freie Minute bei ihm.“
„Du meinst also…“
„Natürlich! Seit man erfahren hat, dass sie in anderen
Umständen ist, hat man die beiden nicht mehr zusammen gesehen. Ihr ist wohl
verboten worden, ihn zu sehen. Würde ihr ganz recht geschehen, wenn sie ihren wunderbaren
Gatten mit ihm hintergangen hat.“
„Ich hörte, sie seien im Zwist auseinandergegangen und es
sei bisher noch keine Einigung zwischen ihnen herbeigeführt worden.“
„Ihr liegt beide falsch und richtig zugleich“, mischte
sich ein Mann ein, „Er wollte gerne mehr von ihr, als sie zu geben bereit war –
deshalb hält sie sich von ihm fern und deshalb ist er seit Wochen von
schlechter Laune und Gewissensbissen geplagt. Es kann natürlich sein, dass er
sich nahm, was er wollte – mit dem Ergebnis, das ihr nun vor euch seht.“
„Also“, sagte die Frau, „das kann ich mir nicht
vorstellen. Er wirkt immer so freundlich!“
„Traue niemals einem Mann mit einem lieblichen Gesicht“, gab
die Freundin zu bedenken.
Die Wahrheit liegt sicher irgendwo dazwischen...
Den Text finde ich echt schön. Er macht vor allem neugierig. Ich würde am liebsten weiterlesen und alles erfahren! :)
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